Die historischen Romane
und von den Fleischbrocken, die ihm aus dem zahnlosen, aber gefräßigen Mund fielen. Nur einmal hatte er das Wort an seinen Nachbarn gerichtet, um die Zartheit einer Hammelkeule zu loben. Wie ich später erfuhr, war es der Ehrenwerte Hieronymus, jener Bischof von Kaffa, den Ubertin bei unserem ersten Gespräch vor drei Tagen schon unter den Verstorbenen gewähnt hatte (und ich muss sagen, dass der Gedanke, er sei bereits seit zwei Jahren tot, lange in der ganzen christlichen Welt als wahre Nachricht umging, denn ich bin ihm auch später noch manchmal begegnet; tatsächlich verstarb der Gute wenige Monate nach den Ereignissen, die ich hier schildere – wahrscheinlich an der großen Wut, die ihm der Verlauf des Treffens am folgenden Tag in den Leib pflanzen sollte, wirkte er doch so gebrechlich und so cholerisch, dass ich schon fast geglaubt hätte, es werde ihn auf der Stelle zerreißen).
Nun mischte er sich in die Unterhaltung ein und erklärte mit vollem Munde: »Und außerdem, wisst ihr, hat der Ruchlose eine Konstitution verfasst über die taxae sacrae poenitentiariae, worin er über die Sünden der Geistlichen spekuliert, um auch daran noch zu verdienen. Wenn ein Priester oder Mönch eine fleischliche Sünde begeht, sei's mit einer Nonne, einer Verwandten oder einer beliebigen Frau (denn auch das kommt vor!), erhält er nur Absolution, wenn er siebenundsechzig Goldpfund und. zwölf Heller bezahlt. Und wenn er Bestialitäten begeht, kostet es über zweihundert Pfund, aber wenn er sie nur mit Kindern und Tieren begangen hat und nicht mit Frauen, wird das Bußgeld um hundert Pfund verringert. Und eine Nonne, die es mit vielen Männern getrieben hat, sei's gleichzeitig oder nacheinander, sei's drinnen im Kloster oder auch draußen, und die nun Äbtissin werden will, muss hunderteinunddreißig Goldpfund und fünfzehn Heller bezahlen...«
»Ich bitte Euch, Ehrenwerter Hieronymus«, protestierte Ubertin, »Ihr wisst, dass ich alles andere als ein Freund des Papstes bin, aber hier muss ich ihn verteidigen: Das ist ein verleumderisches Gerücht, das in Avignon unter die Leute gebracht worden ist. Ich habe diese Konstitution nie gesehen!«
»Sie existiert wirklich!« beteuerte Hieronymus eifrig. »Auch ich habe sie nie gesehen, aber sie existiert ganz bestimmt!«
Ubertin schüttelte den Kopf, und die anderen schwiegen betreten. Ich merkte, dass sie gewohnt waren, den alten Mitbruder nicht ganz ernst zu nehmen, und mir fiel ein, dass William ihn neulich im Gespräch mit Ubertin als einen Idioten bezeichnet hatte... William war es, der sich nun bemühte, das Gespräch wieder in Gang zu bringen, und begütigend sagte er: »Jedenfalls zeigt uns dieses Gerücht, ob es stimmt oder nicht, welches moralische Klima in Avignon herrscht: Alle, ob Ausbeuter oder Ausgebeutete, haben dort das Gefühl, eher auf einem Bazar zu leben als am Hofe des Stellvertreters Christi auf Erden. Als Johannes den Thron bestieg, wurde sein Privatschatz auf etwa siebzigtausend Gulden beziffert. Inzwischen soll er mehr als zehn Millionen zusammengerafft haben.«
»Das ist wahr«, seufzte Ubertin. »Oh Michael, lieber Michael, du kannst dir nicht vorstellen, welche Schändlichkeiten ich mitansehen musste in Avignon!«
»Versuchen wir doch, gerecht zu sein«, besänftigte Michael. »Wir wissen, dass auch unsere Brüder Exzesse begangen haben. Ich weiß von Franziskanern, die bewaffnete Überfälle auf Dominikanerklöster unternommen und die feindlichen Brüder nackt ausgezogen haben, um sie zur Armut zu zwingen... Das war auch der Grund, warum ich es damals im Falle der provençalischen Brüder nicht wagte, mich Johannes entgegenzustellen... Ich möchte ein Abkommen mit ihm treffen, und darum werde ich seinen Stolz nicht demütigen, sondern lediglich von ihm verlangen, dass er unsere Demut nicht demütigt. Ich werde auch nicht über Geld mit ihm reden, sondern ihn lediglich bitten, einer klugen Auslegung der Heiligen Schrift zuzustimmen. Und genau darüber werden wir morgen mit seinen Legaten verhandeln. Letzten Endes sind es doch Männer der Theologie, und nicht alle werden so raffgierig sein wie Johannes. Wenn gelehrte Männer sich auf eine Deutung der Schrift geeinigt haben, wird er nicht anders können, als...«
»Er wird nicht können? Ha!« fiel Ubertin ihm heftig ins Wort. »Du kennst noch nicht seine maßlosen Pläne in Sachen Theologie! Er will buchstäblich alles binden und lösen, im Himmel wie auf Erden... Was er auf Erden tut, haben
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