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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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schien geradezu, dass diese Bibliothek vielleicht die größte Sammlung von Abschriften jenes heiligen Buches besaß, die es in der ganzen Christenheit geben mochte, dazu eine Unzahl von Kommentaren; voluminöse Folianten waren allein dem Apokalypsenkommentar des Beatus von Liébana gewidmet. Der Text war jedes Mal mehr oder minder derselbe, aber wir fanden eine phantastische Vielfalt von Variationen in den Bildern, und William erkannte die Signaturen einiger Buchmaler, die, wie er mir sagte, zu den größten des Reiches Asturien zählten: Magius, Facundus und andere mehr.
    Unter solchen und ähnlichen Funden gelangten wir schließlich zum Südturm, in dessen Nähe wir schon bei unserem ersten Besuch in der Bibliothek gekommen waren. Der Raum S von YSPANIA – ein fensterloser – führte uns weiter in einen Raum E, und fortschreitend durch die Außenräume des Turmes kamen wir in einen letzten, der keinen weiteren Durchgang aufwies und als Anfangsbuchstaben seiner Inschrift ein rotes L hatte. Wir lasen die Buchstabenfolge rückwärts und fanden das Wort LEONES .
    »Leones, Süden… auf unserer Weltkarte sind wir in Afrika, hic sunt leones «, erklärte William. »Das erklärt auch, warum wir in diesen Räumen so viele Texte von Ungläubigen gesehen haben.«
    »Ja, und hier sind noch mehr davon«, sagte ich, die Schränke durchmusternd. »Zum Beispiel Canone von Avicenna... und hier dieser herrliche Codex in einer Kalligraphie, die ich nicht kenne...«
    »Nach den Dekorationen zu urteilen, müsste es ein Koran sein, aber leider kann ich kein Arabisch.«
    »Ein Koran, die Bibel der Ungläubigen? Ein perverses Buch...«
    »Ein Buch mit einer anderen Wahrheit als der unseren... Doch nun verstehst du vielleicht, warum die Bibliothekare es hierhin gestellt haben, wo die Löwen und Monster sind. Darum haben wir hier auch neulich das Liber monstrorum gefunden und das Buch mit dem Einhorn. In dieser Zone stehen die Werke, die den Erbauern der Bibliothek als die Bücher der Lüge galten. Was haben wir dort oben?«
    »Lateinisches, aber aus dem Arabischen. Ayyub al Ruhawi, ein Traktat über die Tollwut... Und hier ein Buch über die Schätze der Erde... Und hier steht auch die Abhandlung De aspectibus von Alhazen...«
    »Siehst du, sie haben zwischen die Monster und Lügen auch wissenschaftliche Werke gestellt, von denen die Christen viel lernen könnten. Aber so dachte man eben damals, zur Zeit der Gründung dieser Bibliothek...«
    »Aber warum haben sie zwischen die Lügenbücher auch den Band mit dem Einhorn gestellt?«
    »Die Gründer der Bibliothek hatten offenbar seltsame Vorstellungen: Sie meinten wohl, dass jenes Buch, das von phantastischen Wesen in fernen Ländern handelt, zu den Lügen gehört, von den Ungläubigen verbreitet werden...«
    »Ja, ist denn das Einhorn eine Lüge? Es ist doch ein äußerst graziles Tier von hohem Symbolwert! Ein Sinnbild Christi sowie der Keuschheit! Man kann es nur fangen, indem man eine Jungfrau in den Wald schickt, deren keuscher Geruch es anlockt, so dass es kommt und seinen Kopf in ihren Schoß legt und sich willig den Netzen der Jäger darbietet.«
    »So heißt es, mein lieber Adson. Aber viele neigen auch zu der Ansicht, dass es eine Erfindung heidnischer Fabeldichter ist.«
    »Wie schade!« rief ich enttäuscht. »Ich wäre gern einmal beim Spazierengehen im Walde einem Einhorn begegnet! Wozu geht man sonst im Walde spazieren?«
    »Wer sagt denn, dass es nicht existiert? Aber vielleicht ist es ganz anders, als es in diesen Büchern dargestellt wird. Ein venezianischer Reisender fuhr in den fernen Osten, in Länder nahe besagtem Fons Paradisi, von welchem die Weltkarten künden, und sah dort Einhörner. Aber er fand sie plump und gemein und hässlich und schwarz. Ich glaube, dass er wirkliche Tiere mit einem Horn auf dem Kopf gesehen hat. Es waren vermutlich die gleichen, von denen uns die Meister der antiken Weisheit (die niemals vollkommen irrten, da Gott ihnen Dinge zu sehen gewährte, die uns verborgen geblieben sind) eine erste getreue Beschreibung gegeben haben. Später ist diese Beschreibung dann, von Auctoritas zu Auctoritas weitergereicht, durch sukzessive Zutaten der Phantasie verändert worden, so dass die Einhörner schließlich zu edlen und anmutigen, weißen und sanften Tieren wurden. Darum merke: Geh niemals mit einer Jungfrau in einen Wald, in dem womöglich ein Einhorn lebt, denn das Tier könnte dem unseres venezianischen Augenzeugen ähnlicher sein als dem

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