Die historischen Romane
andere Frauen im Dorf und er werde sich eine holen, die noch viel schöner sei als das Mädchen, das mir so sehr gefalle. Mir schien, dass er log, aber was hätte ich tun sollen? Ihn die ganze Nacht lang verfolgen, während William etwas ganz anderes mit mir unternehmen wollte? Um dann vielleicht wirklich sie wiederzusehen (wenn mein Verdacht sich bestätigen sollte)? Sie, zu der meine Sinne mich drängten und von der mich zu lösen meine Vernunft mir gebot? Sie, die ich niemals wiedersehen durfte, so sehr ich sie auch trotz allem noch immer wiederzusehen begehrte? Nein, das war wirklich ganz ausgeschlossen! Also redete ich mir ein, dass Salvatore die Wahrheit gesagt hatte, was das Mädchen betraf. Oder dass er in allem gelogen hatte und dass sein ganzer famoser Liebeszauber nur eine Einbildung seines naiven und abergläubischen Geistes war und dass er am Ende gar nichts tun würde.
Sein dummes Gerede machte mich wütend, ich packte ihn hart an der Brust und sagte, er täte besser daran, heute Abend frühzeitig schlafen zu gehen, denn die Bogenschützen patrouillierten in der Abtei. Er entgegnete seelenruhig, das mache ihm gar nichts aus, er kenne die Abtei besser als die Bogenschützen und bei diesem Nebel könne sowieso keiner irgendwas sehen. Jawohl, und er werde sich jetzt verdrücken, und nicht einmal ich würde ihn noch sehen, selbst wenn er sich zwei Schritte neben mir mit dem Mädchen vergnügte, das mir so sehr am Herzen liege. Er drückte sich anders aus, noch viel vulgärer, aber das ungefähr war der Sinn seiner Worte. Angewidert ließ ich ihn stehen und ging davon, denn gewiss war es eines Novizen aus nobler Familie nicht würdig, sich mit einer solchen Kanaille herumzustreiten.
Ich holte William ein, und wir taten, was getan werden musste. Will sagen, wir begaben uns in die Kirche, um dem Nachtgottesdienst beizuwohnen, und stellten uns in den hinteren Teil des Hauptschiffes, so dass wir nach dem Schlussgebet gleich aufbrechen konnten zu unserer zweiten (meiner dritten) Erkundungsreise ins Innere des Labyrinths.
Vierter Tag
NACH KOMPLET
Worin man erneut ins Labyrinth eindringt und an die Schwelle des Finis Africae gelangt, aber nicht hineinkann, weil man nicht weiß, was der Erste und Siebente der Vier sind, während Adson abermals einen – diesmal übrigens recht gelehrten – Rückfall in seine Liebeskrankheit erleidet.
Die Erkundung der Bibliothek kostete uns viele Stunden mühseliger Arbeit. In Worten war leicht gesagt, was wir zu tun hatten, aber vorzudringen im Licht unserer Öllampen, die Inschriften über den Rundbögen zu entziffern, die Durchgänge und die türlosen Wände auf unserem Plan zu markieren, die Anfangsbuchstaben einzutragen, die verschlungenen Wege zurückzulegen, die uns das Spiel der Öffnungen und Vermauerungen gebot, das war ein langwieriges Unterfangen. Und ermüdend.
Zudem war es sehr kalt. Die Nacht war nicht stürmisch, so dass wir nicht jenes feine Heulen vernahmen, das uns beim ersten Mal so beeindruckt hatte, aber durch die Mauerschlitze drang eine feuchtkalte Nebelluft ein. Wir hatten uns wollene Handschuhe angezogen, um die Bücher berühren zu können, ohne dass uns die Finger erstarrten, aber es waren Handschuhe ohne Fingerspitzen, wie man sie zum Schreiben im Winter benutzt, und so mussten wir unsere klammen Hände immer wieder über die Flamme halten oder vor der Brust in die Kutte schieben oder gegeneinanderschlagen, rhythmisch hüpfend auf steifen Beinen.
Aus all diesen Gründen erledigten wir denn auch nicht unsere ganze Arbeit in einem Zuge, sondern verhielten immer wieder vor einem Bücherschrank, und da William – mit seinen neuen Augengläsern – die Bücher nun lesen konnte, brach er bei jedem Titel, den er entdeckte, in mehr oder minder heftige Freudenschreie aus, sei's weil er das betreffende Werk bereits kannte oder weil er es seit Langem suchte oder auch weil er noch niemals davon gehört hatte und daher um so erregter und wissbegieriger war. Kurzum, jedes Buch war für ihn wie ein Fabelwesen, dem man in einem fremden Lande begegnet. Und während er noch in einer Handschrift blätterte, schickte er mich bereits auf die Suche nach anderen.
»Sieh nach, was in jenem Schrank dort steht!«
Und ich, buchstabierend und Folianten wälzend: » Historia anglorum von Beda... Und weiter von Beda De aedificatione templi, De tabernaculo, De temporibus et computo et chronica et circuli Dionysi, Ortographia, De ratione metrorum, Vita Sancti
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