Die historischen Romane
fremder König erheben im Westen, ein Herr von gewaltiger Arglist, gottlos, menschenmordend, betrügerisch und gerissen, versessen auf Gold, voller Schläue und Bosheit, ein Feind und Verfolger aller Gerechten, und man wird nicht länger achten des Silbers zu seiner Zeit, sondern nur noch dem Golde dienen! Ja, ja, ich weiß, ihr überlegt jetzt rasch, meine Zuhörer, und überschlagt im Stillen, ob es der Papst sein könnte oder der Kaiser oder der König von Frankreich oder wer auch immer, der diesem Fürsten des Bösen gleicht, damit ihr dann sagen könnt: Er ist mein Feind, ich stehe aufseiten des Guten! Aber so dumm bin ich nicht, euch einen Menschen zu nennen, der Antichrist kommt, wenn er kommt, in allem und allen, und jeder hat Teil an ihm. Er kommt in den Horden, die Städte und Länder verwüsten, er kommt in unerwarteten Zeichen am Himmel, wenn plötzlich Regenbögen erscheinen und Hörner am Firmament und Blitze, gefolgt von grollendem Donner, während das Meer zu kochen beginnt! Man hat gesagt, die Menschen und Tiere werden Drachen gebären, doch damit wollte man sagen, dass die Herzen auf Hader und Zwietracht sinnen. Schaut nicht um euch, wenn ihr die Monster der Miniaturen finden wollt, die euch auf den Pergamenten ergötzen, schaut in eure Herzen! Man hat gesagt, junge Mütter werden Kinder gebären, die bei der Geburt schon vollendet sprechen können, um kundzutun, dass die Zeit reif ist und dass sie wünschten, getötet zu werden. Aber sucht nicht drunten im Tale nach ihnen, die frühreifen und zu klugen Kinder wurden bereits hier oben in diesen Mauern getötet! Und wie in den Weissagungen hatten sie schon das Aussehen greiser Männer, und wie in den Weissagungen waren sie Kinder mit vier Füßen, und Gespenster, und Ungeborene, die im Mutterleibe weissagen konnten mit Hilfe magischer Zaubersprüche. Jawohl, und dies alles steht geschrieben, wisst ihr das? Es steht geschrieben, dass großer Aufruhr sein wird unter den Ständen, unter den Völkern und in den Kirchen, dass falsche Hirten aufkommen werden, perverse, achtlose, habgierige, voller Sucht nach Vergnügen, Liebhaber des Gewinns, versessen auf eitles Gerede, prahlerisch, hochfahrend, verfressen, anmaßend, lüstern und geil, gefallsüchtig und überheblich, Feinde des Evangeliums, bereit, die enge Pforte zu verschmähen und zu missachten die Worte der Wahrheit, und werden mit Hass betrachten jeglichen frommen Lebenswandel, und werden nicht Buße tun für ihre Sünden, und werden deswegen Unglauben säen unter den Völkern und Bruderhall, Niedertracht, Härte und Neid, Gleichgültigkeit, Raub und Diebstahl, Trunksucht, Zügellosigkeit, Unzucht, fleischliche Lust, Hurerei und alle anderen Laster. Abnehmen werden Betroffenheit, Demut, Friedensliebe, Bescheidenheit, Mitleid und die Gabe des Trauerns... Nun, meine Zuhörer, erkennt ihr euch nicht darin, ihr alle, die ihr hier sitzt, Mönche dieser Abtei und Mächtige aus der Ferne?«
In der Pause, die nun folgte, war ein leises Rascheln zu hören. Es kam von Kardinal Bertrand, der sich heftig den Kopf kratzte. Im Grunde ist Jorge, dachte ich, schon ein großer, gewaltiger Prediger: Während er seine Mitbrüder geißelte, sparte er die Besucher nicht aus, und ich hätte wer weiß was dafür gegeben, zu erfahren, was dem gestrengen Bernard in diesem Moment durch den Kopf gehen mochte, oder den fetten Avignonesern.
»In jenem Moment, und das ist eben dieser«, donnerte Jorge, »erfährt der Antichrist seine blasphemische Parusie als Nachäffer Unseres Herrn und Heilands. In jenen Tagen – und das sind die unseren – brechen die Reiche zusammen, herrschen Mangel und Not, folgen einander Missernten und allerstrengste Winter. Doch die Kinder jener Zeit – die keine andere ist als die unsere – haben niemanden mehr, der ihnen ihre Güter verwaltet und das Getreide hortet in ihren Scheuern, und werden gebeutelt auf den Märkten des An- und Verkaufs. Selig, wer dann nicht mehr lebt, oder wer das zu überleben vermag! Denn nun kommt er, der Sohn der Verdammnis, der Feind, der sich brüstet und aufbläht mit vorgespiegelten Tugenden, um die ganze Erde zu täuschen und über die Gerechten zu herrschen. Syrien bricht zusammen und beweint seine Kinder. Kilikien erhebt sein Haupt, bis jener kommt, der da berufen ist, es zu richten. Babylons Tochter erhebt sich vom Thron ihrer Herrlichkeit, um zu trinken aus dem Kelche der Bitternis. Kappadokien, Lykien und Lykaonien beugen den Rücken, auf dass große
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