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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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lachte und bat, sie sollten aufhören, ihn zu kitzeln. Und rittlings zu Pferde, auf Pferden, die gelbe Schwefelwolken aus ihren Nüstern bliesen, stürmten die kleinen Brüder des armen Lebens herein und hatten am Gürtel pralle Geldbörsen voller Gold, mit dem sie die Wölfe in Lämmer verwandelten und die Lämmer in Wölfe, die sie zu Kaisern krönten unter dem Beifall des zur Volksversammlung versammelten Volkes, das von morgens bis abends Loblieder auf die Macht und Herrlichkeit Gottes sang. » Ut cachinnis dissolvatur, torqueatur rictibus!« schrie Jesus und fuchtelte mit der Dornenkrone. Da erschien Papst Johannes, fluchte über das Durcheinander und sprach: »Wenn das so weitergeht, weiß ich wirklich nicht, wo das noch enden soll!« Aber alle lachten ihn aus und gingen, der Abt voran, mit den Schweinen auf Trüffelsuche in den Wald. Gerade wollte ich mich ihnen anschließen, da sah ich in einer Ecke William aus dem Labyrinth herauskommen, in der Hand einen Magneten, der ihn mit großer Kraft nach Norden davonzog. »Meister, verlasst mich nicht!« rief ich hinter ihm her. »Auch ich will sehen, was im Finis Africae ist!«
    »Du hast es bereits gesehen!« antwortete er, schon in weiter Ferne. Und ich erwachte, während in der Kirche gerade die letzten Worte des Totengesanges erklangen:
     
    Lacrimosa dies illa
    qua resurget ex favilla
    iudicandus homo reus:
    huic ergo parce deus!
    Pie Iesu domine
    dona eis requiem.
     
    Woraus ich schloss, dass meine Vision, wenn sie nicht, blitzartig wie alle Visionen, gerade so lang wie ein Amen gedauert hatte, alles in allem kürzer gewesen war als ein Dies irae.

 
     
    Sechster Tag
NACH TERTIA
    Worin William Adsons Traum erklärt.
     
    V erstört trat ich aus dem Hauptportal und stieß vor der Kirche auf eine kleine Versammlung. Es waren die Franziskaner, zum Aufbruch gerüstet, und William war heruntergekommen, um ihnen Lebewohl zu sagen.
    Ich tat es ihm gleich und machte die Runde mit Abschiedsgrüßen und brüderlichen Umarmungen. Dann fragte ich meinen Meister, wann wohl die anderen aufbrechen würden, die Avignoneser mit ihren Gefangenen. Er sagte, sie seien bereits vor einer halben Stunde gegangen, als wir noch den Schatz in der Krypta bewunderten – oder vielleicht auch, schoss es mir durch den Kopf, als ich schon zu träumen begonnen hatte.
    Ich verharrte einen Moment lang betroffen, dann fasste ich mich. Besser so, dachte ich mir. Ich hätte den Anblick der Ärmsten – des unseligen Remigius, des geschundenen Salvatore... und natürlich des Mädchens – nicht ertragen, wie sie da in Ketten fortgeschleppt wurden für immer. Auch war ich noch so durcheinander von meinem Traum, dass selbst meine Gefühle wie gelähmt reagierten.
    Während die Karawane der Minoriten über den Hof davonzog und im Torbau verschwand, verharrten William und ich vor der Kirche, schweigend und beide in melancholischer Stimmung, wenn auch aus verschiedenen Gründen. Dann entschloss ich mich, ihm meinen Traum zu erzählen. So vielgestaltig und wirr die Vision gewesen war, so klar hatte ich sie mit allen Einzelheiten im Kopf, Bild für Bild, Szene für Szene, Wort für Wort, und so genau erzählte ich sie meinem Meister, wusste ich doch, dass Träume oftmals geheime Botschaften sind, die kundige Männer sehr klar zu deuten vermögen.
    William hörte mir schweigend zu. Dann fragte er: »Weißt du, was du da geträumt hast?«
    »Nun, was ich Euch eben erzählt habe...«
    »Sicher, das ist mir schon klar. Aber weißt du, dass ein großer Teil dessen, was du mir eben erzählt hast, bereits vor langer Zeit niedergeschrieben worden ist? Du hast Personen und Erlebnisse dieser Tage in einen Rahmen eingefügt, den du schon kanntest, denn das Grundmuster deines Traumes, die zugrunde liegende Fabel hast du schon irgendwann einmal gelesen, oder jemand hat sie dir als Kind im Kloster erzählt. Es ist die Coena Cypriani.«
    Verdutzt starrte ich William an, ohne gleich zu begreifen, wovon er sprach. Dann dämmerte es mir langsam. Ja, natürlich, das war es! Das »Gastmahl« des heiligen Cyprianus, die Versammlung der Bibelgestalten zur fröhlichen Tafelrunde! Der Titel war mir vielleicht entfallen, doch welcher junge Mönch oder Novize hat nicht schon einmal über die komischen Szenen jener Posse gelacht, die, in Prosa oder in Reime gefasst, zur Tradition der Osterspiele und der mönchischen Späße gehörte? Bei den strengsten unserer Novizenmeister war ihre Lektüre verboten, aber es gab wohl kein

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