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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Kloster, in welchem die Coena nicht mehr oder minder heimlich unter den Mönchen zirkulierte, verschiedentlich umgearbeitet oder erweitert; manche kopierten sie fromm, versichernd, sie verberge unter dem Mantel der Heiterkeit eine geheime moralische Lehre, andere ermunterten gar zu ihrer Verbreitung mit dem Argument, durch Spiel und Späße prägten sich die Episoden der Heiligen Schrift den Zöglingen besser ein. Vor ungefähr fünfhundert Jahren wurde für Papst Johannes VIII. eine Version in Versen geschrieben mit der Widmung: Ludere me libuit, ludentem, papa Johannes, accipe. Ridere, si placet, ipse potes. Es heißt sogar, Kaiser Karl der Kahle habe zur Ergötzung seiner Würdenträger bei Tische eine gereimte Fassung aufführen lassen als fideles Mysterienspiel:
     
    Ridens cadit Gaudericus
    Zacharias admiratur,
    supinus in lectulum
    docet Anastasius ...
     
    Und wie viele Rüffel hatte ich einstecken müssen von meinen Lehrern, ich und meine Gefährten in Melk, wenn wir Teile daraus rezitierten! Ich entsinne mich eines alten Mönches, der immer voller Entrüstung sagte, die Coena könne gar nicht von Cyprianus sein, unmöglich könne ein so frommer Kirchenvater einen so schamlosen Jocus verfasst haben, eine so lästerliche Verhöhnung der Heiligen Schrift, die eines Ungläubigen oder Narren würdiger sei als eines heiligen Märtyrers... Seit Jahren hatte ich nicht mehr an diese kindischen Späße gedacht. Wie kam es, dass mir die Coena ausgerechnet an diesem Morgen so lebhaft im Traum erschienen war? Bisher hatte ich stets geglaubt, Träume seien entweder göttliche Botschaften oder sinnlose Stammeleien des schlafenden Geistes, wirre Erinnerungen an Geschehnisse des vergangenen Tages. Nun ging mir auf, dass man auch Bücher träumen kann. Also kann man vielleicht auch Träume träumen...
    »Gern wäre ich jetzt Artemidoros, um dir deinen Traum richtig deuten zu können«, unterbrach William meine Gedanken. »Aber ich denke, auch ohne die Weisheit des griechischen Traumdeuters lässt sich unschwer begreifen, was dir widerfahren ist, mein armer Adson. Du hast in den letzten Tagen eine Reihe wirrer Ereignisse miterlebt, die keiner Regel mehr zu gehorchen scheinen. Nichts fügt sich mehr in die gewohnten Bahnen, alles steht auf dem Kopf, und so ist heute Morgen in deinem schlafenden Geist die Erinnerung an eine Art von Komödie wiedererstanden, an eine Posse, in der, aus welchen Gründen auch immer, die Welt auf dem Kopf steht. Du hast deine jüngsten Erlebnisse, deine Sorgen und Ängste dazugetan und bist, ausgehend von den Miniaturen des armen Adelmus, in einen großen Karneval geraten, in eine Welt, die völlig verkehrt zu sein scheint und in der doch jeder – wie in der Coena – genau das tut, was er im wirklichen Leben getan hat. Am Ende hast du dich in deinem Traum gefragt, welche Welt denn nun eigentlich die verkehrte ist und was es heißt, auf dem Kopf zu stehen, und dein Traum hat plötzlich nicht mehr gewusst, wo oben und unten ist, wo der Tod ist und wo das Leben. Dein Traum hat die Lehren bezweifelt, die du empfangen hast.
    »Mein Traum vielleicht, aber nicht ich«, sagte ich tugendhaft. »Doch wenn das so ist, dann sind Träume ja keine göttlichen Botschaften, sondern teuflische Phantastereien, die keinerlei Wahrheit enthalten!«
    »Ich weiß nicht, Adson. Wir haben bereits so viele Wahrheiten in der Hand... Wenn eines Tages jemand käme und sich gar anheischig machte, auch noch in unseren Träumen nach einer Wahrheit zu forschen, dann wäre die Zeit des Antichrist wirklich nahe... Und doch, je länger ich über deinen Traum nachdenke, desto aufschlussreicher finde ich ihn. Mag sein, dass er dir nichts enthüllt, aber mir. Verzeih, wenn ich deinen Traum benutze, um meine Hypothesen weiterzutreiben, das ist respektlos, ich weiß, so was tut man nicht... Aber ich glaube, dein schlafender Geist hat in wenigen Augenblicken mehr aufgedeckt als mein wacher Geist in den letzten sechs Tagen...«
    »Wirklich?«
    »Ja, wirklich. Oder vielleicht auch nicht. Ich finde deinen Traum aufschlussreich, weil er zu einer meiner Hypothesen passt. Aber du hast mir ein großes Stück weitergeholfen, ich danke dir.«
    »Was war denn in meinem Traum, das Euch so interessiert? Er schien mir sinnlos wie alle Träume.«
    »Er enthielt einen anderen Sinn, wie alle Träume und Visionen. Er muss allegorisch gedeutet werden, oder anagogisch...«
    »Wie die Schriften?«
    »Träume sind Schriften, und viele Schriften sind nichts

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