Die historischen Romane
Alinardus’ geheimnisvoller Konkurrent gewesen sein, der Mann, der damals auf Paulus folgte, obwohl Alinardus der Ältere war. Dann aber verschwand dieser andere irgendwie (erinnere dich: Alinardus sagte, Gott habe ihn bestraft...) und auch Paulus verschwand irgendwie, und zur Überraschung des Alinardus und vieler anderer rückte Malachias nach, erst als Adlatus des kranken Robert und dann selbst als Bibliothekar.«
»Aber warum seid Ihr so sicher, dass dies die richtige Abfolge ist? Selbst angenommen, diese Schrift hier sei wirklich die unseres namenlosen Bibliothekars, wieso könnten dann nicht die Titel auf den Seiten davor von Paulus stammen?«
»Weil unter diesen Neuzugängen auch die päpstlichen Bullen und Dekretalen aufgeführt sind, die ein präzises Datum tragen. Schau her, wenn du hier zum Beispiel die Firma cautela von Bonifaz VIII. findest, die bekanntlich aus dem Jahre 1296 stammt, dann weißt du, dass dieser Text nicht vorher in die Abtei gekommen sein kann, und es ist anzunehmen, dass er auch nicht viel später kam. Damit habe ich hier so etwas wie Meilensteine, die sich über die Jahre verteilen, und wenn ich jetzt annehme, dass Paulus von Rimini um 1265 Bibliothekar geworden ist und um 1275 Abt, und nun finde ich hier, dass seine Eintragungen (beziehungsweise die eines anderen, der aber nicht Robert von Bobbio ist) von 1265 bis 1285 reichen, dann entdecke ich eine Differenz von zehn Jahren.«
Mein Meister war wirklich sehr scharfsinnig. »Und welche Folgerungen zieht Ihr daraus?« wollte ich wissen.
»Keine«, sagte er. »Nur Prämissen.«
Dann erhob er sich und ging zu Benno hinüber. Der neu ernannte Bibliothekarsgehilfe saß immer noch brav, wenn auch sichtlich bedrückt, an seinem alten Arbeitsplatz, er hatte es nicht gewagt, den Platz des Bibliothekars beim Katalog einzunehmen. William sprach ihn recht förmlich an, die unschöne Szene vom Vorabend war noch nicht vergessen.
»Auch wenn Ihr jetzt so hochmögend seid, Herr Bibliothekar, werdet Ihr hoffentlich die Güte haben, mir eine Auskunft zu geben. Neulich an jenem Morgen, als Adelmus und die anderen hier über Rätsel und Wortspiele diskutierten und Berengar zum ersten Mal eine Anspielung auf das Finis Africae machte, hat da jemand vielleicht auch die Coena Cypriani erwähnt?«
»Ja«, antwortete Benno, »habe ich Euch das nicht erzählt? Bevor wir über die Rätsel des Symphosius sprachen, erwähnte Venantius die Coena. Malachias wurde darüber sehr böse, nannte die Coena ein schamloses Werk und erinnerte daran, dass der Abt uns allen verboten hat, sie zu lesen...«
»So, so, der Abt!« sagte William. »Sehr interessant. Ich danke Euch, Benno.«
»Wartet«, rief der junge Mönch hastig. »Ich möchte mit Euch sprechen.« Er bedeutete uns, ihm auf die Wendeltreppe hinaus zu folgen, die zur Küche hinunterführte, damit die anderen ihn nicht hören könnten. Seine Lippen zitterten.
»Bruder William, ich habe Angst!« begann er. »Sie haben nun auch Malachias umgebracht. Jetzt bin ich derjenige, der zu viel weiß! Ich bin den Italienern ein Dorn im Auge, sie wollen keinen Ausländer mehr als Bibliothekar... Ich glaube, die anderen sind genau deswegen aus dem Weg geräumt worden... Ich habe Euch nie von Alinardus’ Hass auf Malachias erzählt, von seinem unversöhnlichen Groll...«
»Wer war es, der ihm damals den Bibliothekarsposten weggeschnappt hatte?«
»Das weiß ich nicht. Er spricht immer nur sehr vage davon, und es muss schon lange her sein, bestimmt sind inzwischen alle tot... Aber die Gruppe der Italiener um Alinardus spricht... sprach von Malachias häufig wie von einem Strohmann, deein anderer eingesetzt hatte und lenkte, mit Wissen des Abtes... Ich bin da unversehens in... in einen Machtkampf zwischen zwei Fraktionen hineingeraten... Erst heute Morgen ist mir das klargeworden... Italien ist ein Land voller Verschwörer, hier werden sogar die Päpste vergiftet, was wird da aus einem armen Mönchlein wie mir? Gestern dachte ich noch, es ginge bloß um das Buch, jetzt bin ich mir dessen nicht mehr so sicher, das Buch war vielleicht nur ein Vorwand... Ihr habt ja gesehen, es hatte sich wieder eingefunden, und Malachias musste trotzdem sterben... Ach, Bruder William, was soll ich nur tun? Ich muss... ich will... ich möchte fliehen. Was ratet Ihr mir?«
»Dich erstmal zu beruhigen. Jetzt willst du auf einmal meinen Rat, sieh an! Gestern fühltest du dich noch fast als Herr der Welt! Dummkopf, wir hätten das letzte
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