Die historischen Romane
Abt befahl, mit dem Gottesdienst zu beginnen.
Als er zu Ende war und die Mönche ins Refektorium strömten, ging ich zu William, um ihn zu holen. Er lag lang ausgestreckt, bekleidet und reglos, auf seiner Matte. Er sagte, er habe gar nicht gemerkt, wie die Zeit vergangen sei. Ich erzählte ihm kurz, was geschehen war. Er schüttelte nur den Kopf.
Auf der Schwelle zum Refektorium trafen wir Nicolas. Vor zwei Stunden hatte er Jorge zum Abt geführt. William fragte ihn, ob der Alte sofort hineingegangen sei. Nein, sagte Nicolas, er habe lange vor der Tür warten müssen, da Alinardus und Aymarus noch dringewesen seien. Dann sei Jorge hineingegangen und eine Weile dringeblieben, während er, Nicolas, draußen auf ihn gewartet habe, und anschließend habe sich Jorge von ihm in die Kirche bringen lassen, die um diese Zeit, eine Stunde vor Vesper, noch ganz leer gewesen sei.
Der Abt erschien und sah uns mit Nicolas reden. »Bruder William, fahndet Ihr immer noch?« fragte er, bat jedoch meinen Meister wie üblich an seinen erhöhten Tisch. Die Gastlichkeit der Benediktiner ist heilig.
Das Mahl verlief schweigsamer als gewöhnlich und in gedrückter Stimmung. Abbo stocherte lustlos in seinem Teller herum, sichtlich von trüben Gedanken geplagt. Am Ende mahnte er alle, sich rasch zur Komplet zu begeben.
Alinardus und Jorge fehlten noch immer. Flüsternd zeigten die Mönche einander den leeren Platz des Blinden. Nach dem Schlussgebet forderte der Abt die versammelten Mönche auf, ein besonderes Gebet für das Heil ihres Mitbruders Jorge von Burgos zu sprechen. Er ließ offen, ob er das leibliche oder das seelische Heil des Vermissten meinte, und alle begriffen, dass sich ein neues Unheil über dieser geschlagenen Gemeinde zusammenbraute. Danach befahl der Abt allen, sofort in ihre Zellen zu gehen. Niemand, sagte er und betonte das Wort mit großem Nachdruck, niemand dürfe noch aufbleiben und sich außerhalb des Dormitoriums bewegen! Als Erste strömten die verängstigten Novizen hinaus, gesenkten Kopfes, die Kapuzen übergezogen, ohne das übliche leise Getuschel, Gezische, Gelächter und heimliche Geknuffe, mit dem sie einander sonst zu necken pflegten (denn Novizen sind, wiewohl angehende Mönche, im Grunde immer noch Kinder, und trotz der Rügen ihrer gestrengen Meister benehmen sie sich, ihrem zarten Alter gemäß, oft kindisch).
Als die Erwachsenen aus der Kirche gingen, mischte ich mich unauffällig unter die Gruppe derer, die ich längst als »die Italiener« zu betrachten pflegte. Pacificus raunte gerade zu Aymarus: »Glaubst du, dass Abbo wirklich nicht weiß, wo Jorge steckt?« Und Aymarus raunte zurück: »Wer weiß, vielleicht weiß er es sehr genau, vielleicht weiß er sogar, dass Jorge von dort, wo er steckt, niemals wiederkehren wird... Vielleicht hat der Alte zu viel gewollt, und nun hat Abbo genug von ihm...«
Während William und ich so taten, als ob wir brav ins Pilgerhaus gingen, sahen wir, wie der Abt durch die noch unverschlossene Pforte des Refektoriums ins Aedificium schlüpfte. William wartete eine Weile und horchte. Dann, als sich weit und breit nichts mehr rührte, winkte er mir. Rasch eilten wir über den leeren Hof zurück in die Kirche.
Sechster Tag
NACH KOMPLET
Worin William sozusagen durch puren Zufall entdeckt, wie man ins Finis Africae eindringt.
W ir schmiegten uns wie zwei finstere Meuchelmörder nahe dem Hauptportal an eine Säule, von wo aus wir gut die linke Seitenkapelle mit dem Schädelaltar beobachten konnten.
»Abbo ist ins Aedificium gegangen, um es für die Nacht zu verschließen«, flüsterte William. »Wenn er die Pforten von innen verriegelt hat, kann er nur durchs Ossarium herauskommen.«
»Und dann?«
»Dann werden wir sehen, was er tut.«
Wir sahen es leider nicht. Nach einer vollen Stunde war Abbo immer noch nicht erschienen. Er könnte ins Finis Africae gegangen sein, meinte ich. Schon möglich, sagte mein Meister. Bereit, eine ganze Reihe von Hypothesen aufzustellen, äußerte ich die Vermutung, er sei vielleicht noch einmal durchs Refektorium hinausgegangen, um Jorge zu suchen. Auch das sei möglich, sagte mein Meister.
»Vielleicht ist Jorge schon tot«, spekulierte ich weiter. »Vielleicht ist er im Aedificium und tötet gerade den Abt. Vielleicht sind beide woanders hinausgegangen, und ein Dritter lauert ihnen jetzt gerade irgendwo auf. Was führen die Italiener im Schilde? Und warum war Benno vorhin so verängstigt? Ist seine Angst
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