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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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entstanden, sondern vielmehr genau die Sprache Babels am ersten Tag nach der göttlichen Züchtigung, also die Sprache der primären Konfusion. Andererseits war Salvatores Idiom nicht eigentlich Sprache zu nennen, denn in jeder menschlichen Sprache gibt es bestimmte Regeln, jede Wortform und Endung bedeutet, ad placitum, irgendetwas mehr oder minder Präzises kraft eines unwandelbaren und unverzichtbaren Gesetzes. Der Mensch kann den Hund nicht nach Belieben einmal Hund und einmal Katze nennen, auch kann er nicht einfach irgendwelche Laute ausstoßen, denen im Konsens der Anwesenden kein präziser Sinn zukommt, er kann zum Beispiel nicht einfach »blitiri« sagen. Dennoch bekam ich ungefähr mit, was Salvatore uns sagen wollte, und auch die anderen in der Abtei verstanden ihn recht und schlecht – was zeigte, dass er eben nicht eine bestimmte, sondern alle Sprachen sprach, aber keine richtig, vielmehr die Worte bald aus der einen und bald aus der anderen nehmend. Später bemerkte ich in der Tat, dass er eine Sache nach Belieben auf provençalisch oder katalanisch oder lateinisch benennen konnte, und ich begriff auch, dass er weniger eigene Sätze bildete, als dass er verstreute Bruchstücke anderer Sätze, die er irgendwo aufgeschnappt hatte, je nach der Situation und nach dem, was er sagen wollte, benutzte und irgendwie zusammenfügte, gleichsam als könnte er beispielsweise von einer Speise nur mit den Worten derer reden, bei denen er sie zuerst gekostet, oder als könnte er seine Freude nur mit Sätzen ausdrücken, die er aus dem Munde von freudigen Menschen vernommen, während er selbst eine ähnliche Freude empfand. Es war, wie wenn seine Zunge gleich seinen Zügen zusammengeflickt worden wäre aus Teilen und Stücken anderer Zungen, oder auch ( si licet magnis co mponere parva, oder wenn es erlaubt ist, göttliche Dinge mit denen des Teufels zu vergleichen) wie wenn kostbare Reliquien hervorgehen aus den Resten anderer heiliger Gegenstände...
    Doch in jenem Augenblick, als ich Salvatore zum ersten Mal sah und hörte, schien er mir nicht unähnlich jenen wüsten Bastarden, die ich gerade am Kirchenportal gesehen hatte. Später bemerkte ich, dass er offenbar ein gutes Herz besaß und einen skurrilen Humor. Und noch später... Aber bleiben wir bei der Reihenfolge. Auch weil, kaum dass Salvatore geendet hatte, mein Meister ihn scharf ins Auge fasste und fragte:
    »Warum hast du penitenziagite gesagt?«
    »Domine frate magnificentissimo«, antwortete Salvatore mit einer kleinen Verbeugung, »Jesus venturus est, und die Menschen müssen doch facere penitentia. Oder?«
    William sah ihm fest in die Augen: »Kommst du aus einem Minoritenkloster?«
    »No capito.«
    »Ich frage dich, ob du unter den Mönchen des heiligen Franziskus gelebt hast. Ich frage dich, ob du Bekanntschaft gemacht hast mit den sogenannten Apostlern...«
    Salvatore erbleichte, beziehungsweise sein braungebranntes Fratzengesicht wurde grau. Er machte eine tiefe Verbeugung, bekreuzigte sich devot, murmelte etwas von »vade retro« und rannte davon, nicht ohne sich mehrfach umzublicken.
    »Was habt Ihr ihn gefragt?« wollte ich wissen.
    William verharrte einen Augenblick in Gedanken, strich sich dann mit der Hand über die Schläfe und sagte: »Nichts. Ich sag's dir später. Lass uns nun in die Kirche gehen. Ich möchte Ubertin sehen.«
    Es war kurz nach der sechsten Stunde. Die Sonne stand bleich im Westen und erhellte das Kircheninnere nur durch ein paar schmale Fenster. Ein dünner Strahl traf gerade noch den Hochaltar und ließ den Baldachin in einem goldenen Schimmer erglänzen. Die Seitenschiffe lagen in tiefem Schatten.
    Im linken Seitenschiff, nahe der letzten Kapelle vor dem Altar, stand eine zierliche Säule, darauf eine steinerne Muttergottes, geformt im modernen Stil, die Lippen umspielt von einem unbeschreiblichen Lächeln, der Leib vortretend, das Kind im Arm, gekleidet in ein anmutiges Gewand mit feinem Korsett. Zu Füßen der Säule lag, im Gebet versunken und fast prosterniert, ein Mann in der Tracht des Cluniazenserordens.
    Wir traten näher. Der Mann, aufgeschreckt durch das Geräusch unserer Schritte, hob den Kopf. Es war der Kopf eines Greises, bartlos und kahl, die Augen groß und hellblau, die Lippen dünn und rot, die Haut schneeweiß und faltig um einen knochigen Schädel hängend als handle es sich um eine in Milch konservierte Mumie. Die weißen Hände mit ihren langen und schmalen Fingern vervollständigten den Eindruck

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