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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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dass die Stadt Alexander als dem König der Könige einen Tribut zollt, aber der Alte erwidert, dies sei die Stadt der Glückseligen. Alexander, der zwar ein großer König, aber ein Heide war, kann unmöglich in der Himmlischen Stadt angelangt sein, folglich muss das, was er und Tugdalus gesehen haben, das Irdische Paradies gewesen sein. Dasselbe, das ich in diesem Moment gerade sehe ...«
    »Wo?«
    »Da.« Er deutete in eine Ecke des Zimmers. »Ich sehe einen Ort mit lieblichen grünen Wiesen, auf denen Blumen und duftende Kräuter wachsen, während ringsum ein süßer Geruch in der Luft liegt, der bewirkt, dass es mich überhaupt nicht mehr nach Speise und Trank verlangt. Ich sehe eine herrliche Wiese mit vier ehrwürdig aussehenden Männern, sie tragen goldene Kronen auf dem Kopf und Palmzweige in den Händen ... Ich höre einen Gesang, ich rieche Balsamduft, o mein Gott, ich spüre eine Süßigkeit auf der Zunge wie von Honig ... Ich sehe eine Kirche, ganz aus Kristall, mit einem Altar in der Mitte, aus dem Wasser quillt, weiß wie Milch. Die Kirche glänzt und strahlt auf der Nordseite wie ein einziger riesiger Edelstein, im Osten ist sie rot wie Blut, im Westen weiß wie Schnee, und über ihr funkeln unzählige Sterne, die heller sind als die Sterne an unserem Himmel. Ich sehe einen Mann mit schlohweißem Haar, er ist gefiedert wie ein Vogel, und seine Augen sind kaum zu sehen unter den dichten weißen Brauen. Er zeigt mir einen Baum, der diejenigen, die in seinem Schatten sitzen, niemals alt werden lässt und von jeder Krankheit heilt, und einen anderen, der Blätter in allen Regenbogenfarben hat. Aber wieso sehe ich dies alles heute Abend?«
    »Vielleicht hast du irgendwo etwas davon gelesen, und der Wein hat es dir wieder vors geistige Auge gebracht«, sagte Abdul. »Dieser treffliche Mann, der auf meiner Insel lebte und kein anderer war als der heilige Brendan, ist über die Meere gesegelt bis zu den äußersten Rändern der Erde, und er hat eine Insel entdeckt, die prallvoll von reifen Trauben war, blauen, roten und weißen, und es gab dort sieben wunderbare Brunnen und sieben Kirchen, eine aus Kristall, die andere aus Granat, die dritte aus Saphir, die vierte aus Topas, die fünfte aus Rubin, die sechste aus Smaragd und die siebente aus Korallengestein, und jede hatte sieben Altäre und sieben Ewige Lampen. Und vor jeder Kirche mitten auf einem Platz stand eine Säule aus Chalzedon, auf deren Spitze sich ein Rad mit Schellenglöckchen drehte.«
    »Nein, nein, was ich sehe, ist keine Insel«, ereiferte sich Boron, »es ist ein Gelobtes Land im fernen Indien, ich sehe dort Menschen mit riesigen Ohren und mit einer doppelten Zunge, so dass sie mit zwei Personen auf einmal reden können ... Und was für reiche Ernten dort sind, es scheint, als wüchse dort alles ganz von allein!«
    »Sicher«, warf Baudolino ein, »schließlich steht im Exodus geschrieben, dass dem Volk Gottes ein Land versprochen war, in dem Milch und Honig fließen.«
    »Werfen wir nicht alles durcheinander«, sagte Abdul, »das im Exodus ist das Gelobte Land, das nach dem Sündenfall kam, während das Irdische Paradies das Land unserer Urahnen vor dem Sündenfall war.«
    »Abdul, wir sind hier nicht in einer disputatio . Es geht nicht darum, den Ort zu identifizieren, zu dem wir hingehen werden, sondern zu begreifen, wie der ideale Ort beschaffen sein müsste, zu dem jeder gern hingehen würde. Und da ist es doch evident: Wenn es solche Wunderdinge wie die genannten nicht nur im Irdischen Paradies gegeben hat, sondern auch heute noch gibt, und zwar auf Inseln, die Adam und Eva nie betreten haben, dann müsste das Reich des Priesters Johannes diesen Orten ziemlich ähnlich sein. Wir versuchen zu begreifen, wie ein Reich des Überflusses und der Tugend beschaffen sein müsste, in dem es keine Lüge, keine Habgier und keine Ausschweifung gibt. Denn warum sollte man sonst danach streben wie nach dem christlichen Reich schlechthin?«
    »Aber ohne zu übertreiben«, mahnte Abdul, »sonst glaubt uns keiner, ich meine, sonst glaubt keiner, dass es möglich ist, so weit in die Ferne zu gehen.«
    Er hatte »in die Ferne« gesagt. Eben noch hatte Baudolino geglaubt, dass Abdul, während er sich das Irdische Paradies vorstellte, wenigstens für einen Abend seine unmögliche Passion vergessen hätte. Aber nein. Er dachte immer daran. Er sah das Paradies vor sich, aber er suchte darin nach seiner Prinzessin. Tatsächlich murmelte er, während

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