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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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die Adligen hängende Ohren haben müssten und ob die Verrückten bei Vollmond noch verrückter würden. Die Frage, die ihn am meisten beschäftigte, war die nach der Existenz der Leere, ein Thema, in dem er sich besser als jeder andere Philosoph auszukennen behauptete.
    »Die Leere«, dozierte Boron mit schon leicht belegter Zunge, »existiert nicht, weil die Natur sie verabscheut. Dass sie nicht existiert, ist erstens aus philosophischen Gründen evident, denn würde sie existieren, müsste sie entweder Substanz oder Akzidens sein. Körperliche Substanz ist sie nicht, denn sonst wäre sie greifbar und würde Raum füllen, und unkörperliche Substanz ist sie auch nicht, denn sonst wäre sie intelligent, wie die Engel. Aber sie ist auch nicht Akzidens, denn Akzidentia existieren nur als Attribute von Substanzen. Zweitens existiert die Leere nicht aus physischen Gründen: Nimm ein zylindrisches Gefäß ...«
    »Aber wieso«, unterbrach ihn Baudolino, »liegt dir so viel daran zu beweisen, dass die Leere nicht existiert? Was kümmert's dich?«
    »Es kümmert mich, es kümmert mich. Die Leere kann entweder interstitiell sein, das heißt in den Zwischenräumen zwischen Körper und Körper in unserer irdischen Welt existieren, oder sie kann ausgedehnt sein, hinaus über die Ränder des Universums, das wir sehen, nur begrenzt durch die große Kugel der Himmelskörper. Wenn dem so wäre, könnten in jener Leere andere Welten existieren. Doch wenn man beweist, dass die interstitielle Leere nicht existiert, dann kann die ausgedehnte erst recht nicht existieren.«
    »Aber was kümmert's dich, ob es andere Welten gibt?«
    »Es kümmert mich, es kümmert mich. Denn wenn es sie gäbe, hätte Unser Herr Jesus Christus sich in jeder von ihnen für unsere Sünden opfern und in jeder von ihnen Brot und Wein verwandeln müssen. Und folglich wäre der höchste Gegenstand, der Zeugnis und Überrest jenes Wunders ist, nicht einzig und einmalig, sondern es gäbe viele Kopien davon. Und welchen Wert hätte mein Leben, wenn ich nicht wüsste, dass es irgendwo einen höchsten Gegenstand gibt, den es zu finden gilt?«
    »Und was wäre dann dieser höchste Gegenstand?«
    Hier wurde Boron auf einmal sehr wortkarg. »Meine Sache«, sagte er, »das ist nichts für profane Ohren. Aber sprechen wir von etwas anderem: Wenn es viele Welten gäbe, dann gäbe es auch viele erste Menschen, viele Adams und Evas, die viele Male die Ursünde begangen hätten. Und folglich gäbe es viele Irdische Paradiese, aus denen sie verjagt worden wären. Haltet ihr es für denkbar, dass es von etwas so erhabenem wie dem Irdischen Paradies jede Menge Kopien gibt, so wie es viele Städte mit einem gewundenen Fluss und einem Hügel wie dem der Sainte-Geneviève gibt? Das Irdische Paradies gibt es nur einmal, in einem fernen Land jenseits des Reiches der Meder und Perser.«
    Damit waren sie beim springenden Punkt angelangt und erzählten Boron von ihren Spekulationen über den Priester Johannes. Jawohl, Boron hatte diese Geschichte mit den christlichen Königen im fernen Orient von einem Mönch gehört. Er hatte den Bericht über einen Besuch gelesen, den vor vielen Jahren ein Patriarch aus Indien bei Papst Calixtus II. gemacht hatte. Darin wurde geschildert, wie mühsam es für den Papst gewesen war, sich mit ihm zu verständigen, wegen ihrer verschiedenen Sprachen. Der Patriarch hatte die Stadt Hulna beschrieben, durch die einer der Flüsse fließt, die im Irdischen Paradies entspringen, der Physon, den andere auch Ganges nennen, und wo auf einem Berg außerhalb der Stadt das Heiligtum steht, in welchem der Leib des Apostels Thomas aufbewahrt wird. Dieser Berg war unerreichbar, da er sich in der Mitte eines Sees erhob, aber für acht Tage im Jahr wich das Wasser des Sees zurück, und die guten Christen jener Stadt konnten hinübergehen, um den Leib des Apostels zu verehren, der noch ganz unversehrt war, als ob er gar nicht tot wäre, ja dessen Antlitz sogar, wie der Text besagte, strahlend wie ein Stern war, dessen Haare rot und schulterlang waren, der einen Bart trug und Kleider anhatte, die gerade erst frisch genäht zu sein schienen.
    »Aber nichts besagt, dass dieser Patriarch der Priester Johannes war«, schloss Boron vorsichtig.
    »Nein, sicher nicht«, meinte Baudolino, »aber es zeigt, dass man seit langer Zeit von einem fernen, glücklichen und hierorts unbekannten Reich spricht. Hör zu, in seiner Historia de duabus civitatibus hat mein vielgeliebter Bischof

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