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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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überzeugenden Beweis einer Abstammung finden. Das war der Grund, warum er den Poeten an die Arbeit gesetzt hatte.«
    Niketas hatte Mühe, Baudolinos Geschichte säuberlich Jahr für Jahr zu verfolgen. Ihm schien nicht nur, dass auch sein Augenzeuge ein bisschen durcheinanderbrachte, was jeweils vorher und nachher geschehen war, sondern er fand auch, dass die Geschehnisse mit und um Friedrich sich immerfort wiederholten, und er begriff nicht mehr, wann nun die Mailänder wieder zu den Waffen gegriffen hatten, wann sie Lodi erneut bedrohten und wann der Kaiser von neuem nach Italien gezogen war. Wenn dies eine Chronik wäre, sagte er sich, bräuchte man bloß irgendeine Seite aufzuschlagen und fände immer dieselben Geschichten. Als wäre es einer von jenen Träumen, in denen ständig dasselbe passiert und man sich flehentlich wünscht, endlich aufzuwachen.
    Immerhin glaubte Niketas verstanden zu haben, dass die Mailänder schon seit zwei Jahren, mal mit verbalen Bosheiten, mal mit Scharmützeln, Friedrich in Schwierigkeiten gebracht hatten, und dass im folgenden Jahr der Kaiser, unterstützt von den Städten Novara, Asti, Vercelli, dem Markgrafen von Montferrat und dem von Malaspina, dem Grafen von Biandrate sowie den Bürgern von Como, Lodi, Bergamo, Cremona, Pavia und einigen anderen Städten neuerlich an die Belagerung Mailands gegangen war. Eines schönen Morgens im Frühling traf Baudolino, inzwischen zwanzigjährig, mit dem Salve mundi domine für den Poeten und seinem Briefwechsel mit Beatrix, den er nicht als Beute für Diebe in Paris hatte zurücklassen wollen, vor den Toren jener Stadt ein.
    »Ich hoffe, Friedrich hat sich in Mailand besser aufgeführt als in Crema«, sagte Niketas.
    »Eher noch übler, nach dem, was ich bei meiner Ankunft erfuhr. Sechs Gefangenen aus Melzo und Roncate hatte er die Augen ausstechen lassen, einem Mailänder hatte er nur eines ausgestochen, damit er die anderen nach Mailand zurückführen konnte, aber dafür hatte er ihm die Nase abgeschnitten. Und wenn er jemanden ertappte, der Waren nach Mailand einzuschmuggeln versuchte, ließ er ihm die Hände abhacken.«
    »Da siehst du, auch er ließ Augen ausstechen.«
    »Aber nur einfachen Leuten, nicht edlen Herren wie ihr. Und nur seinen Feinden, nicht seinen Verwandten.«
    »Rechtfertigst du ihn?«
    »Jetzt ja, damals nicht. Damals war ich entsetzt. Ich wollte ihn zuerst gar nicht wiedersehen. Aber ich musste ihm meine Aufwartung machen, das war nicht zu vermeiden.«
    Als der Kaiser ihn nach so langer Zeit wiedersah, machte er Anstalten, ihn zu umarmen, aber Baudolino konnte nicht an sich halten. Er wich zurück, brach in Tränen aus und sagte ihm ins Gesicht, dass er ruchlos sei, dass er nicht behaupten könne, Quell der Gerechtigkeit zu sein, wenn er sich so ungerecht verhalte, und dass er sich schäme, sein Adoptivsohn zu sein.
    Jeden anderen, der es gewagt hätte, ihm so etwas ins Gesicht zu sagen, hätte Friedrich nicht nur mit dem Verlust beider Augen sowie der Nase dafür büßen lassen, sondern auch mit dem Verlust der Ohren. Statt dessen war er betroffen über Baudolinos Zorn und versuchte sich – er, der Kaiser – zu rechtfertigen: »Es war Auflehnung, Baudolino, Auflehnung gegen das Gesetz, und du warst der erste, der mir gesagt hat, ich sei das Gesetz. Ich kann nicht vergeben, ich darf nicht gütig sein. Es ist meine Pflicht, erbarmungslos zu sein. Meinst du, mir macht das Spaß?«
    »Und wie dir das Spaß macht, mein Vater! Musstest du all diese Leute töten, damals vor zwei Jahren in Crema, und jetzt diese anderen in Mailand verstümmeln? Und das nicht etwa im Kampf, sondern kaltblütig, aus Starrsinn, aus Rache, wegen einer Beleidigung!«
    »Ah, du verfolgst meine Taten, als wärest du Rahewin! Nun denn, so wisse, es war nicht Starrsinn, es war ein Exempel. Es war die einzige Art und Weise, diese ungehorsamen Söhne zu beugen. Meinst du, Caesar und Augustus wären gütiger gewesen? Es ist Krieg, Baudolino, weißt du, was das heißt? Du, der du in Paris den großen Bakkalaureus spielst, weißt du, dass ich dich, wenn du zurückkommst, am Hof unter meinen Ministerialen haben will und dich vielleicht sogar zum Ritter schlagen werde? Meinst du, du kannst mit dem Kaiser des Heiligen Römischen Reiches umherziehen, ohne dir die Hände schmutzig zu machen? Kein Blut kannst du sehen? Dann sag es mir, und ich lasse dich Mönch werden. Aber als Mönch musst du keusch sein, merk dir das, man hat mir Geschichten von dir in

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