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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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die Messe gehen. Wenn die Fürsten ganz Europas und sogar der Papst jüdische Ärzte haben, warum sollte man sich dann nicht einen Juden in Reichweite halten dürfen, der das Leben der Mauren in Spanien kannte und viele andere Dinge der Länder des Orients? Außerdem sind die germanischen Fürsten immer sehr barmherzig mit den Juden gewesen, mehr als alle anderen christlichen Könige. Wie mir Otto erzählt hat, als die Ungläubigen Edessa zurückerobert hatten und viele christliche Fürsten erneut der Predigt Bernhards von Clairvaux folgten und das Kreuz nahmen (und selbst Friedrich nahm es ja damals), da hetzte ein Mönch namens Radolf die Pilger auf, alle Juden in den Städten, durch die sie zogen, zu massakrieren. Und es wurde tatsächlich ein Massaker. Aber an diesem Punkt baten viele Juden den Kaiser um Schutz, und er erlaubte ihnen, sich in die Stadt Nürnberg zu retten und dort sicher zu leben.«
     
    Kurzum, Baudolino war wieder mit seinen Studienfreunden vereinigt. Nicht dass diese am Hof viel zu tun gehabt hätten. Solomon setzte sich in jeder Stadt, durch die sie kamen, mit seinen örtlichen Glaubensbrüdern in Verbindung, und er fand überall welche (»Gemeine Quecke«, stichelte der Poet). Abdul hatte entdeckt, dass man in Italien das Provenzalische seiner Lieder besser verstand als in Paris, Boron und Kyot verbissen sich in dialektische Dispute, Boron versuchte Kyot davon zu überzeugen, dass die Nichtexistenz der Leere entscheidend sei, um die Einzigartigkeit des Gradals zu beweisen, Kyot hatte sich in den Kopf gesetzt, dass der Gradal ein vom Himmel gefallener Stein sei, lapis es coelis , und von ihm aus konnte er auch durch leerste Räume aus einem anderen Universum gekommen sein.
    Wenn sie nicht gerade ihre privaten Steckenpferde ritten, diskutierten sie oft alle miteinander über den Brief des Priesters, und mehr als einmal wollten die Freunde von Baudolino wissen, wieso er Friedrich nicht zu jener Reise drängte, die sie so gut vorbereitet hatten. Eines Tages, als er gerade zu erklären versuchte, wie viele Probleme der Kaiser erst noch zu lösen habe, sowohl in Deutschland wie auch in Italien, sagte der Poet, es würde sich vielleicht lohnen, selbst auf die Suche nach dem Reich des Priesters zu gehen, ohne zu warten, bis der Kaiser soweit sei. »Der Kaiser könnte aus dieser Unternehmung einen zweifelhaften Gewinn ziehen. Stellt euch vor, er kommt zum Land des Priesters und gelangt zu keiner Einigung mit ihm. Er würde geschlagen zurückkehren, und wir hätten ihm nur Schaden zugefügt. Machen wir uns dagegen auf eigene Faust auf die Reise, dann werden wir, egal wie die Sache ausgeht, aus einem so reichen und wunderbaren Land auf jeden Fall etwas Außerordentliches mitbringen.«
    »Jawohl«, sagte Abdul, »zögern wir nicht länger, brechen wir auf, reisen wir in die Ferne ...«
     
    »Ich gestehe dir, Kyrios Niketas, mich überkam eine tiefe Niedergeschlagenheit, als ich sah, wie begeistert alle auf den Vorschlag des Poeten eingingen, und ich begriff auch, warum. Boron und Kyot hofften beide, das Land des Priesters zu finden, um sich in den Besitz des Gradals zu bringen, der ihnen wer weiß welchen Ruhm und welche Macht in jenen nordischen Ländern eingebracht hätte, wo alle immer noch nach ihm suchten. Rabbi Solomon wollte die zehn verstreuten Stämme Israels finden, da er dann der Größte und Angesehenste nicht nur unter den Rabbinern Spaniens, sondern unter allen Kindern Israels geworden wäre. Bei Abdul lag das Motiv auf der Hand: Er hatte das Reich des Priesters Johannes inzwischen mit dem seiner Prinzessin gleichgesetzt, doch je mehr er an Alter und Weisheit zunahm, desto weniger befriedigte ihn die Ferne, und er wollte die Prinzessin – möge der Gott der Liebenden ihm verzeihen – endlich mit Händen berühren. Was den Poeten anging, wer weiß, welche Gedanken oder Absichten er in Pavia ausgebrütet hatte. Seit er über ein eigenes kleines Vermögen verfügte, schien er das Reich des Johannes nicht für den Kaiser, sondern für sich haben zu wollen. Dies alles mag dir erklären, warum ich, enttäuscht, einige Jahre lang nicht mit Friedrich über das Reich des Priesters gesprochen habe. Wenn das Spiel so lief, schien es mir besser, das Reich zu belassen, wo es lag, um es der Gier all derer zu entziehen, die keinen Begriff von seiner mystischen Größe hatten. Der Brief war für mich so etwas wie ein privater Traum geworden, in den ich keinen anderen einlassen wollte. Er half mir über

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