Die historischen Romane
für die Dauer eines Benedicite einschläft oder aufgeregt mit den Armen zu rudern beginnt, ist schon ein toter Hunne, also nicht verzagen.
Der Cuttica bemühte sich, den Blemmyern beizubringen, unter ein Pferd zu schlüpfen und ihm mit einer Steinaxt den Bauch aufzuschlitzen, aber das mit Eseln zu üben, war eine Strafe. Was schließlich die Ponkier anging, die ja zum Kundschafterdienst gehören sollten, so kümmerten sich Boron und Kyot um ihre Ausbildung.
Baudolino berichtete dem Diakon von ihren Bemühungen, und der junge Mann schien wie neugeboren. Er ließ sich mit Erlaubnis der Eunuchen auf den äußeren Umgang des Turms führen und beobachtete von oben die Truppen bei ihren Übungen. Er sagte, er wolle lernen, sich auf ein Pferd zu setzen, um seine Untertanen zu führen, aber gleich darauf erlitt er einen Schwächeanfall, vielleicht wegen der allzu großen Erregung, und die Eunuchen brachten ihn zurück in den Thronsaal, wo er erneut in tiefe Trübsal versank.
In jenen Tagen war es, dass Baudolino sich ein bisschen aus Neugier, ein bisschen aus Langeweile fragte, wo eigentlich die Satyrn-die-man-nie-sah leben mochten. Er fragte alle danach, einmal sogar einen der Ponkier, deren Sprache ihm nie zu entschlüsseln gelungen war. Der Befragte antwortete: »Prug frest frinss sorgdmand strochdt drhds pag brlelang gravot chavygny rusth pkalhdrcg« , und das war nicht viel. Sogar Gavagai blieb im vagen. »Dort oben«, sagte er und deutete auf eine bläuliche Hügelkette im Westen, hinter der sich in der Ferne die Berge abzeichneten, aber dorthin sei er nie gegangen, weil die Satyrn keine Eindringlinge mochten. »Was denken die Satyrn?« fragte Baudolino, und Gavagai antwortete, sie dächten noch schlechter als alle anderen, denn sie seien der Meinung, es habe niemals eine Ursünde gegeben. Die Menschen seien nicht erst infolge dieser Sünde sterblich geworden, sie wären es auch dann, wenn Adam nie von dem Apfel gegessen hätte. Daher sei auch keine Erlösung notwendig, jeder könne durch seinen eigenen guten Willen zum Heil gelangen. Die ganze Geschichte mit Jesus habe nur dazu gedient, ein gutes Beispiel für tugendhaftes Leben zu geben, nichts anderes. »Fast wie Häretiker von Mahumeth, die sage, Jesus bloß Prophet gewesen.«
Auf die Frage, warum denn nie jemand zu den Satyrn gehe, antwortete Gavagai, am Fuße jener Hügel sei ein Wald mit einem See, und es sei allen verboten, ihn zu betreten, denn dort lebe eine Rasse übler heidnischer Frauen. Die Eunuchen sagten, ein guter Christ gehe da nicht hin, denn er könne in einen bösen Zauber geraten, und so gehe da eben niemand hin. Aber mit Unschuldsmiene beschrieb Gavagai den Weg dorthin so genau, dass man annehmen musste, er oder irgendein anderer Skiapode waren bei ihren weitläufigen Exkursionen auch bis zu jenem See gelangt.
Mehr brauchte es nicht, um Baudolinos Neugier zu wecken. Er wartete auf einen Augenblick, in dem ihn niemand beachtete, sprang auf sein Pferd, durchquerte in weniger als zwei Stunden eine weite Steppe und kam an den Rand eines dichten Waldes. Er band das Pferd an einen Baum und drang in das frische duftende Grün ein. Über Wurzeln stolpernd, die bei jedem Schritt auftauchten, und riesige Pilze in allen Farben streifend, gelangte er schließlich ans Ufer eines Sees, auf dessen gegenüberliegender Seite steil die Hügel aufragten, in denen die Satyrn lebten. Es war um die Zeit des Sonnenuntergangs, das kristallklare Wasser begann sich langsam zu verdunkeln und spiegelte die langen Schatten der vielen Zypressen, die es umstanden. Überall herrschte tiefe Stille, nicht einmal unterbrochen von Vogelgesang.
Während Baudolino sinnend am Ufer dieses spiegelglatten Wassers stand, sah er auf einmal ein Tier aus dem Wald treten, das er noch niemals im Leben gesehen hatte, aber auf Anhieb erkannte. Es sah aus wie ein Fohlen, war ganz weiß und bewegte sich zierlich und fließend. Auf dem wohlgeformten Kopf, direkt über der Stirn, hatte es ein ebenfalls weißes Horn, das spiralförmig gewunden war und in einer scharfen Spitze endete. Es war das Einhorn, das lioncorno , wie Baudolino als Kind gesagt hatte, das Monoceros seiner kindlichen Phantasien. Er bewunderte es mit angehaltenem Atem, als er hinter ihm eine weibliche Gestalt aus den Bäumen treten sah.
Gertenschlank, in ein langes Kleid gehüllt, das kleine vorspringende Brüste anmutig hervortreten ließ, bewegte sich die Kreatur im trägen Gang eines Kameloparden, und ihr Kleid
Weitere Kostenlose Bücher