Die historischen Romane
ich auf ihn zu übertragen suchte, indem ich ihm in verkleideter Form einen Teil meines Glücks weitergab. Ich war Hypatia begegnet.«
32. Kapitel
Baudolino sieht eine Dame mit Einhorn
»Vorher war da noch die Geschichte mit der Armee der Monster, Kyrios Niketas. Die Angst vor den Weißen Hunnen wuchs und wurde immer bedrückender, denn ein Skiapode, der bis zu den äußersten Grenzen der Provinz gelangt war (diese Wesen liefen manchmal riesige Strecken, als ob ihr Wille von ihrem unermüdlichen Fuß beherrscht wurde), erzählte bei der Rückkehr, er habe sie gesehen: Gelbgesichter mit lang herunterhängenden Schnauzbärten, klein von Statur, auf ebenfalls kleinen, aber sehr schnellen Pferden, mit denen sie zu einem einzigen Körper zusammengewachsen schienen. Sie zögen in Horden durch Wüsten und Steppen und hätten außer ihren Waffen nichts anderes bei sich als eine lederne Flasche für die Milch und einen kleinen Tontopf, in dem sie kochten, was sie unterwegs fanden, aber sie könnten tagelang reiten, ohne etwas zu essen noch zu trinken. Sie hätten die Karawane eines Kalifen angegriffen, die gerade ihr Lager aufschlug, mit Sklaven, Odalisken, Kamelen und prächtigen Zelten. Die Krieger des Kalifen seien den Hunnen entgegengeritten, sie seien schön und schrecklich anzusehen gewesen, riesige Männer, die auf ihren Kamelen dahinpreschten, bewaffnet mit schreckenerregenden Krummsäbeln. Vor diesem Ansturm seien die Hunnen scheinbar zurückgewichen, um die Verfolger hinter sich herzuziehen, dann hätten sie plötzlich kehrtgemacht, seien im Kreis um die Feinde herumgeritten und hätten sie wild schreiend niedergemetzelt. Anschließend hätten sie das Lager überfallen und allen Überlebenden die Kehlen durchgeschnitten, Frauen, Sklaven, wirklich allen, auch den kleinen Kindern, nur einen einzigen Zeugen des Gemetzels hätten sie am Leben gelassen. Dann hätten sie die Zelte angesteckt und seien weitergeritten, ohne sich mit Plündern aufzuhalten, woran man sehen könne, dass sie nicht aus Habgier zerstörten, sondern um ihren Ruf zu verbreiten, dass wo sie durchgezogen seien, kein Gras mehr wachse, damit ihre Opfer beim nächsten Mal schon vor Angst wie gelähmt waren. Vielleicht sprach der Skiapode ein bisschen unter dem Einfluss des burq , an dem er sich erquickt hatte, aber wer konnte überprüfen, ob er erzählte, was er wirklich gesehen hatte, oder ob er das Blaue vom Himmel herunter log? Die Angst ging um in Pndapetzim, man spürte sie in der Luft, man hörte sie an dem Raunen und Wispern, mit dem die Leute einander das Neueste von Mund zu Mund weitergaben, als könnten die Invasoren sie bereits hören. An diesem Punkt beschloss der Poet, auf Praxeas' Angebot einzugehen, auch wenn er es als das Gefasel eines Betrunkenen ausgegeben hatte. Er hielt ihm vor Augen, dass die Weißen Hunnen jeden Augenblick über sie hereinbrechen könnten, und bitte, was würde man ihnen entgegensetzen? Die Nubier, sicher, stets opferbereite Kämpfer, aber dann? Abgesehen von den Pygmäen, die in ihrem Dauerkampf gegen die Kraniche mit dem Bogen umzugehen gelernt hatten – sollten die Skiapoden etwa mit bloßen Händen kämpfen, die Ponkier mit eingelegtem Glied zum Sturm ansetzen, die Zungenlosen als Kundschafter vorgeschickt werden, damit sie dann berichteten, was sie gesehen hatten? Dabei könne man doch sehr wohl aus dieser Versammlung von Monstern, wenn man ihre Fähigkeiten nur richtig zu nutzen verstehe, ein furchterregendes Heer machen. Und wenn einer sich darauf verstehe, dann er, der Poet.«
»Man kann Anspruch auf die Kaiserkrone erheben, wenn man ein siegreicher Feldherr gewesen ist. Bei uns in Byzanz ist das jedenfalls mehr als einmal passiert.«
»Und sicher war das auch der Hintergedanke meines Freundes. Die Eunuchen haben sofort zugestimmt. Ich vermute, sie dachten sich, solange Frieden war, stellte der Poet mit seiner Armee keine Gefahr für sie dar, und sollte es Krieg geben, konnte er das Eindringen der Feinde zumindest so lange hinauszögern, dass ihnen Zeit blieb, sich durch die Berge in Sicherheit zu bringen. Außerdem hielt die Aufstellung einer Armee ihre Untertanen im Zustand gehorsamer Wachsamkeit, und genau das hatten die Eunuchen ja immer gewollt.«
Baudolino, der Krieg nicht mochte, bat um Befreiung vom Wehrdienst. Die anderen nicht. Der Poet war der Meinung, dass die fünf Alexandriner gute Hauptleute abgeben würden, da er die Belagerung ihrer Stadt miterlebt hatte, und zwar auf
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