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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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streifte das Gras, das die Ufer des Sees verschönte, als schwebte sie über dem Boden. Sie hatte langes blondes Haar, das ihr bis zu den Hüften reichte, und ein Profil von solcher Reinheit, als wäre es für eine Elfenbeinfigur modelliert. Der Teint war leicht rosig, und dieses engelhafte Antlitz war in der Haltung eines stillen Gebetes zum See gerichtet. Das neben ihr stehende Einhorn trat sanft von einem Bein auf das andere, ab und zu mit leisem Schnauben den Kopf hebend, um eine Liebkosung entgegenzunehmen.
    Baudolino schaute hingerissen.
     
    »Sicher denkst du jetzt, Kyrios Niketas, dass ich seit Beginn unserer Reise keine Frau mehr gesehen hatte, die diesen Namen verdiente. Versteh mich nicht falsch, es war nicht Begierde, was mich erfasst hatte, eher ein Gefühl von heiterer Verehrung, nicht nur für sie, sondern auch für das Tier, den stillen See, die Berge, das Licht jenes zur Neige gehenden Tages. Ich kam mir vor wie in einem Tempel.«
    Baudolino versuchte, seine Vision mit Worten zu beschreiben, was man sicher nicht kann.
    »Weißt du, es gibt Momente, in denen die Vollkommenheit selbst in einer Hand oder einem Antlitz erscheint, in einer Wolke am Hang eines Hügels oder über dem Meer, Momente, in denen einem das Herz stehen bleibt angesichts des Wunders der Schönheit ... In jenem Moment erschien mir die herrliche Kreatur wie ein erhabener Wasservogel, bald wie ein Reiher, bald wie ein Schwan. Ich sagte, dass ihr Haar blond war, aber nein, als sie den Kopf leicht bewegte, nahm es bald bläuliche Reflexe an, bald schien es von einem leichten Feuer durchzogen. Ich sah ihre Brust im Profil, weich und zart wie die Brust einer Taube. Ich war reiner Blick geworden. Ich sah etwas Antikes, ich wusste, dass ich nicht etwas Schönes sah, sondern die Schönheit selbst als heiligen Gedanken Gottes. Ich entdeckte, dass die Vollkommenheit, wenn man sie einmal erblickt und nur dieses eine Mal, etwas Leichtes, ja Schwereloses ist. Ich betrachtete die Gestalt aus der Ferne, aber ich spürte, dass ich jenes Bild nicht zu fassen vermochte, wie es vorkommt, wenn man in fortgeschrittenem Alter ist und einem scheint, dass man klare Zeichen auf einem Pergament entdeckt, aber man weiß, dass sie, sobald man näher hinschaut, sich verwischen und man nie das Geheimnis wird lesen können, das dieses Pergament einem versprach – oder wie in den Träumen, wenn einem etwas erscheint, was man gerne hätte, und man die Hand danach ausstreckt, aber die Finger im Leeren bewegt und nichts zu fassen bekommt.«
    »Ich beneide dich um jenen Zauber.«
    »Um ihn nicht zu brechen, hatte ich mich in eine Statue verwandelt.«

 
    33. Kapitel
    Baudolino begegnet Hypatia
     
    Der Zauber war jedoch bald vorbei. Mit dem Instinkt einer Kreatur des Waldes hatte sie Baudolinos Anwesenheit bemerkt und sich zu ihm umgedreht. In ihrem Blick lag keine Spur von Erschrecken, nur Staunen.
    »Wer bist du?« fragte sie auf Griechisch. Da er nicht antwortete, ging sie beherzt auf ihn zu und musterte ihn aus der Nähe, ohne Scheu und ohne Arg, und auch ihre Augen waren wie ihre Haare von wechselnder Farbe. Das Einhorn stellte sich neben sie und senkte den Kopf, als wollte es seine prächtige Waffe schützend vor seine Herrin halten.
    »Du bist nicht aus Pndapetzim«, sagte sie. »Du bist weder ein Eunuche noch ein Monster, du bist ... ein Mensch!« Offenbar erkannte sie einen Menschen so, wie er das Einhorn erkannt hatte: als etwas, von dem sie oft hatte reden hören, ohne es je gesehen zu haben. »Du bist schön, ein Mensch ist etwas Schönes, darf ich dich anfassen?« Sie streckte die Hand aus, strich ihm mit zarten Fingern über den Bart und berührte die Narbe an seiner Wange, wie damals die Kaiserin Beatrix. »War das eine Verletzung, bist du einer von jenen Menschen, die Krieg führen? Was ist das, was du da am Gürtel hast?«
    »Ein Schwert«, antwortete Baudolino, »aber ich benutze es nur zur Verteidigung gegen wilde Tiere, ich bin keiner, der Krieg führt. Mein Name ist Baudolino, ich komme aus den Ländern der sinkenden Sonne, von dort hinten«, er deutete vage nach Westen und merkte, dass seine Hand zitterte. »Und wer bist du?«
    »Ich bin eine Hypatia«, sagte sie, belustigt, eine so naive Frage zu hören, und lachte, wodurch sie noch schöner wurde. Dann, als ihr einfiel, dass sie mit einem Fremden sprach, erklärte sie: »In diesem Wald, hinter diesen Bäumen, leben nur wir Hypatien. Hast du keine Angst vor mir, wie die in Pndapetzim?«

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