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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Gerechtigkeit zu nennen, es wäre dasselbe, wie ihn Bär, Panther, Schlange, Drache oder Greif zu nennen, denn nichts von dem, was du über ihn sagst, kann ihn jemals beschreiben. Gott ist nicht Körper, nicht Gestalt, nicht Form, er hat keine Quantität, keine Schwere oder Leichtigkeit, er sieht nicht, hört nicht, kennt keine Unordnung und Verwirrung, ist nicht Seele, nicht Intelligenz, Imagination, Meinung, Gedanke, Wort, Zahl, Ordnung, Größe, er ist nicht Gleichheit und nicht Ungleichheit, nicht Zeit und nicht Ewigkeit, er ist ein Wille ohne Ziel. Versuche das zu begreifen, Baudolino, Gott ist eine Lampe ohne Flamme, eine Flamme ohne Feuer, ein Feuer ohne Wärme, ein dunkles Licht, ein schweigendes Dröhnen, ein blinder Blitz, ein leuchtender Nebeldunst, ein Strahl der eigenen Finsternis, ein sich ausdehnender Kreis, der sich in sein Zentrum zusammenzieht, eine einsame Vielfalt, er ist ... er ist ...« Sie suchte nach einem Beispiel, das sie beide überzeugte, sie, die Lehrerin, und ihn, den Schüler. »Er ist ein Raum, der nicht da ist, in dem du und ich dasselbe sind, so wie heute in dieser Zeit, die nicht vergeht.«
    Eine leichte Flamme zuckte über ihre Wange. Sie schwieg, erschrocken über dieses unangemessene Beispiel, aber wie kann man etwas als unangemessen verurteilen, das nur ein weiteres Element in einer Liste von Unangemessenheiten ist? Baudolino spürte, wie ihm die gleiche Flamme durch die Brust schoss, doch da er fürchtete, sie verlegen zu machen, erstarrte er, ohne einem einzigen Muskel seines Gesichts zu erlauben, die Regungen seines Herzens zu verraten, noch seiner Stimme, zu zittern, und fragte mit theologischer Festigkeit: »Aber was ist dann mit der Schöpfung? Mit dem Bösen?«
    Hypatias Gesicht nahm wieder die rosige Blässe an. »Nun, der Einzige neigt dazu, aufgrund seiner Vollkommenheit, aus Großzügigkeit gegenüber sich selbst, sich zu verströmen, sich auszudehnen in immer weitere Sphären seiner eigenen Fülle, er wird wie die Kerze zum Opfer des Lichtes, das er verbreitet, je mehr er leuchtet, desto mehr löst er sich auf. Jawohl, das ist es, Gott verflüssigt sich in die Schatten seiner selbst, er wird zu einer Vielzahl von Boten-Gottheiten, von Äonen, die viel von seiner Potenz haben, aber in schon schwächeren Formen. Sie sind eine Vielheit von Göttern, Dämonen, Archonten, Tyrannen, Kräfte, Funken, Astren und selbst das, was die Christen Engel oder Erzengel nennen ... Aber sie sind von dem Einzigen nicht geschaffen worden, sie sind seine Emanationen.«
    »Emanationen?«
    »Ausflüsse, Ausstrahlungen, jawohl. Siehst du den Vogel da? Früher oder später wird er einen anderen Vogel hervorbringen, indem er ein Ei ausbrütet, so wie eine Hypatia ein Kind aus ihrem Bauch hervorbringen kann. Aber wenn die Kreatur einmal hervorgebracht worden ist, sei sie eine Hypatia oder ein Vogel, dann lebt sie aus eigener Kraft und überlebt auch den Tod ihrer Mutter. Nun denk statt dessen ans Feuer. Das Feuer bringt keine Wärme hervor, es strahlt sie aus. Die Wärme ist dasselbe wie das Feuer, wenn du das Feuer löschst, hört auch die Wärme auf. Die Wärme des Feuers ist am stärksten da, wo das Feuer entsteht, und sie wird immer schwächer, je mehr die Flamme zu Rauch wird. So ist es auch mit Gott. Je weiter er sich in Emanationen verströmt und dabei von seinem dunklen Zentrum entfernt, desto mehr verliert er an Kraft, und am Ende wird er eine zähflüssige, trübe Materie, wie das formlose Wachs, in das die Kerze zerfließt. Der Eine und Einzige würde sich lieber nicht so weit ausdehnen, aber er kann nichts tun gegen dieses Sichverströmen bis in die Vielheit und bis ins Chaos.«
    »Und dieser dein Gott ist nicht imstande, das Böse aufzulösen, das ... das sich rings um ihn bildet?«
    »O doch, er könnte schon. Der Eine und Einzige ist immerzu bemüht, diesen Atem, der zu Gift werden kann, wieder einzusaugen, und siebzigmal siebentausend Jahre lang war es ihm stets gelungen, seine Ausdünstungen wieder ins Nichts zurückzuholen. Das Leben Gottes war ein regelmäßiger Atem, er atmete ohne Anstrengung. So, hörst du?« Sie zog die Luft durch die Nase ein, wobei ihre zarten Nasenflügel vibrierten, und stieß sie durch den Mund wieder aus. »Eines Tages jedoch verlor er die Kontrolle über eine seiner Zwischenpotenzen, die wir den Demiurgen nennen, der vielleicht Zebaoth oder Jaldabaoth, der falsche Gott der Christen ist. Dieser Abklatsch Gottes nun, der hat aus Versehen oder aus

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