Die historischen Romane
Stolz oder aus Torheit die Zeit geschaffen, wo es vorher nur Ewigkeit gab. Die Zeit ist eine stammelnde Ewigkeit, verstehst du? Und zusammen mit der Zeit hat er das Feuer geschaffen, das Wärme spendet, aber auch alles zu verbrennen droht, das Wasser, das den Durst stillt, aber auch alles ersäuft, die Erde, die das Gras und die Kräuter ernährt, aber auch Lawine werden und sie ersticken kann, die Luft, die uns atmen lässt, aber auch Orkan werden kann ... Er hat alles falsch gemacht, dieser täppische Demiurg. Er hat die Sonne gemacht, die Licht spendet, aber die Felder und Wiesen ausdörren kann, den Mond, der die Nacht nur ein paar Nächte lang beherrschen kann, dann nimmt er schon wieder ab und stirbt, die anderen Himmelskörper, die prächtig sind, aber schädliche Einflüsse ausstrahlen können. Und dann die verstandesbegabten Wesen, die aber nicht fähig sind, die großen Mysterien zu verstehen, die Tiere, die uns manchmal treu sind und manchmal bedrohen, die Pflanzen, die uns ernähren, aber nur ein sehr kurzes Leben haben, die Mineralien, die ohne Leben, ohne Seele, ohne Verstand sind und daher nie etwas begreifen. Der Demiurg war wie ein Kind, das Figuren aus Schlamm formt in der Absicht, die Schönheit des Einhorns nachzubilden, und heraus kommt etwas, das eher wie eine Ratte aussieht!«
»Dann ist also die Welt eine Krankheit Gottes?«
»Wenn du vollkommen bist, kannst du nicht umhin, dich in Emanationen zu verströmen, und wenn du anfängst, dich zu verströmen, wirst du krank. Und im übrigen musst du versuchen zu begreifen, dass Gott in seiner Fülle auch der Ort oder Nicht-Ort ist, in dem die Gegensätze zusammenfallen.«
»Die Gegensätze?«
»Ja, wir spüren die Wärme und die Kälte, das Licht und die Finsternis und all die anderen Dinge, die einander entgegengesetzt sind. Manchmal gefällt uns die Kälte nicht und scheint uns schlecht im Vergleich mit der Wärme, aber manchmal ist uns auch die Wärme zu viel, und wir sehnen uns nach kühler Frische. Wir sind es, die bei Gegensätzen je nach unserer Laune oder unserer Leidenschaft glauben, eines der beiden Elemente sei gut und das andere schlecht. In Gott fallen nun die Gegensätze zusammen und gelangen zu einer wechselseitigen Harmonie. Doch wenn Gott sich zu verströmen beginnt, gelingt es ihm nicht mehr, die Harmonie der Gegensätze zu kontrollieren, und sie zerbricht, und die Gegensätze bekämpfen einander. Der Demiurg hat die Kontrolle über die Gegensätze verloren, er hat eine Welt geschaffen, in der Stille und Lärm, das Ja und das Nein, das eine Gut und das andere einander bekämpfen. Das ist es, was wir als das Böse empfinden.«
In ihrem Eifer bewegte sie die Hände wie ein Kind, das, wenn es von einer Ratte spricht, deren Form nachbildet, und wenn es ein Gewitter erwähnt, Blitze in die Luft zeichnet.
»Du sprichst vom Irrtum der Schöpfung und vom Bösen, Hypatia, aber so, als ob es dich nicht berührte, und du lebst hier in diesem Wald, als ob alles so schön wäre wie du.«
»Wenn auch das Böse von Gott kommt, muss auch im Bösen etwas Gutes sein. Hör mir gut zu, Baudolino, denn du bist ein Mensch, und die Menschen sind nicht gewohnt, alles Seiende in der richtigen Weise zu denken.«
»Ich wusste es ja, auch ich denke schlecht.«
»Nein, du denkst einfach nur. Und denken allein genügt nicht, das ist nicht die richtige Weise. Pass auf, versuch dir eine Quelle vorzustellen, die keinen Ursprung hat und sich in tausend Flüsse verströmt. Die Quelle bleibt immer ruhig, frisch und klar, während die Flüsse in verschiedene Richtungen fließen, sich mit Sand trüben, sich zwischen Felsen durchdrängen und husten, als ob sie gewürgt würden, bisweilen auch austrocknen. Die Flüsse leiden sehr, weißt du das? Und doch ist das Wasser der Flüsse und selbst der schlammigsten Bäche stets Wasser und kommt aus derselben Quelle wie dieser See hier. Dieser See leidet weniger als ein Fluss, denn in seiner Klarheit erinnert er mehr an die Quelle, aus der er kommt, ein Tümpel voller Insekten leidet mehr als ein See oder ein Wildbach. Aber alle leiden irgendwie, weil sie gerne dorthin zurückkehren würden, woher sie kommen, aber nicht mehr wissen, wie das geht.«
Hypatia nahm Baudolino am Arm und drehte ihn zum Wald. Dabei näherte sich ihr Kopf dem seinen, und er roch den pflanzlichen Duft ihres Haars. »Sieh dort den Baum. Was ihn durchströmt, von den Wurzeln bis in die äußersten Blätter, das ist das Leben selbst. Aber die
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