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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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sollte. Jeder hängte sich, so gut es ging, an seinen Vogel, und der Poet band sich außerdem noch das Seil um den Leib, das den Eunuchen tragen sollte. Der einzige noch nicht Angeschnallte war Gavagai, der an der Ecke eines Korridors aufpasste, dass nicht jemand überraschend kam und alles zunichte machte.
    Jemand kam. Einige Wächter hatten sich gewundert, dass die Gefangenen, die zum Füttern der Vögel losgeschickt worden waren, so lange fortblieben. Ein Trupp Kynokephalen erschien besorgt bellend am Ende des Korridors. »Achtung, Hundeköpfe!« rief Gavagai. »Ihr sofort losfliegen!«
    »Wir nix sofort losfliegen«, rief Baudolino. »Komm schnell her, wir binden dich noch rechtzeitig an!«
    Das stimmte nicht, und Gavagai begriff es. Wenn er wegliefe, würden die Kynokephalen beim Käfig sein, bevor der Eunuch das Gitter öffnen und die Vögel fortfliegen lassen konnte. Er rief den anderen zu, sie sollten den Käfig öffnen und losfliegen. Unter den Waffen, die sie in den Säcken zwischen dem Fleisch versteckt hatten, war auch sein Blasrohr gewesen. Das zog er nun heraus, zusammen mit den drei noch verbliebenen Pfeilen. »Skiapode sterben, aber treu allerheiligsten Magiern«, sagte er. Dann legte er sich auf den Rücken, hob den Fuß über den Kopf, führte sich das Blasrohr an den Mund, blies hinein, und tödlich getroffen brach der erste Hundsköpfige zusammen. Während die anderen zurückwichen, schaffte es Gavagai, noch zwei weitere niederzustrecken, dann hatte er keine Pfeile mehr. Um die Angreifer abzuschrecken, hielt er das Blasrohr weiter an den Mund, als ob er hineinbliese, aber er konnte sie nur kurze Zeit täuschen. Dann fielen die wütenden Bestien über ihn her und durchbohrten ihn mit ihren Schwertern.
    Unterdessen hatte der Poet dem Eunuchen seinen Dolch so hart unters Kinn gehalten, dass dieser, als die ersten Blutstropfen kamen, begriff, was von ihm verlangt wurde, und, wiewohl behindert durch seine Fesseln, das Gitter glücklich geöffnet hatte. Als der Poet Gavagai sterben sah, schrie er: »Los, los, er ist hin, nix wie weg!« Der Eunuch gab den Vögeln Roch einen Befehl, sie stürzten sich hinaus und erhoben sich zum Flug. Genau in diesem Moment kamen die Kynokephalen in den Käfig gestürmt, doch ihr Eifer wurde von den verbliebenen Vögeln gebremst, die, erbost über das Durcheinander, sie mit wütenden Schnabelhieben empfingen.
    Kurz darauf flogen die sechs Flüchtlinge bereits hoch am Himmel dahin. »Hat er den richtigen Befehl für Konstantinopel gegeben?« schrie der Poet zu Baudolino hinüber, und Baudolino nickte. »Dann brauchen wir ihn nicht mehr«, sagte der Poet, durchtrennte mit einem einzigen Schnitt das Seil, das ihn mit dem Eunuchen verband, und dieser stürzte ins Leere. »So fliegt sich's besser«, sagte der Poet, »und Gavagai ist gerächt.«
     
    »Wir flogen, Kyrios Niketas, wir flogen hoch über trostlose Ebenen, die nur von den Spuren ausgetrockneter Flüsse durchzogen waren, über bestellte Felder, Seen und Wälder, wobei wir uns an die Füße der Vögel Roch klammerten, denn wir fürchteten, dass die Gurte nicht halten würden. Ich weiß nicht, wie lange wir so flogen, jedenfalls waren unsere Hände bald wund. Unter uns sahen wir Sandwüsten, fruchtbares Land, Wiesen und Bergzüge. Wir flogen unter der Sonne, aber im Schatten der riesigen Flügel, die über unseren Köpfen die Luft schlugen. Wir flogen und flogen, immer weiter, auch bei Nacht und in einer Höhe, die den Engeln sicher verboten war. An einem bestimmten Punkt sahen wir unter uns in einer wüsten Ebene zehn Karawanen – so schien uns – von Menschen (oder waren es Ameisen?), die sich fast parallel voranbewegten, wer weiß wohin. Rabbi Solomon rief, das seien die zehn verstreuten Stämme, die er finden wollte. Er versuchte, seinen Vogel zum Hinuntergehen zu bewegen, indem er ihn an den Füßen zog, versuchte seinen Flug zu lenken, wie man es mit den Leinen eines Segels oder mit einer Ruderpinne macht, aber der Vogel wurde wild, befreite sich aus seinem Griff und hackte nach seinem Kopf. Solomon, mach keinen Unsinn, rief der Boidi, das sind nicht deine Leute, das sind irgendwelche Nomaden, die einfach so umherziehen! Vergebliche Liebesmühe. Von einer mystischen Raserei ergriffen, schlug Solomon derart um sich, dass sein Gurt aufging und er hinunterstürzte, nein, was sage ich, er flog mit ausgebreiteten Armen durch den Himmel wie ein Engel des Allerhöchsten, der immerdar sei der gesegnete Heilige, aber

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