Die historischen Romane
sein Reich in Gefahr schwebte. Aber obgleich er seine Augen noch hatte, war er verblendet von der Trägheit und Korruption, die ihn umgab. Stell dir vor, einmal wollte er weitere Kriegsschiffe bauen lassen, aber die Waldhüter der kaiserlichen Wälder erlaubten nicht, dass Bäume für das Bauholz gefällt wurden. Andererseits hatte Michael Stryphnos, ein General der Armee, bereits Segel und Taue, Steuerruder und andere Teile der vorhandenen Schiffe verschachert, um seine Kassen zu füllen. Unterdessen war der junge Alexios in Zara von der dortigen Bevölkerung als Kaiser von Byzanz begrüßt worden, und im Juni des vorigen Jahres erschienen die Lateiner dann hier vor der Stadt. Hundertzehn Galeeren und siebzig Segelschiffe, die tausend Ritter und dreißigtausend Fußsoldaten transportierten, mit den Schilden an den Seiten und den Fahnen im Wind und den Bannern auf den Kastellen, fuhren wie bei einer Parade in den Sankt-Georgs-Arm ein, mit Trommeln und Trompeten, und die Unseren standen gaffend auf den Mauern. Nur einige warfen Steine, aber mehr um zu lärmen, als um wirklich Schaden anzurichten. Erst als die Lateiner genau vor Pera ankerten, ließ dieser Tor Alexios III. die kaiserliche Armee ausrücken. Aber es war ebenfalls eher eine Parade, in Konstantinopel lebte man wie in einem Halbschlaf. Du weißt vielleicht, dass der Eingang zum Goldenen Horn mit einer großen Kette versperrt war, die von einem Ufer zum anderen reichte, aber sie wurde von den Unseren schlecht verteidigt: Die Lateiner durchbrachen die Kette, fuhren in den Meeresarm ein und setzten ihre Armee genau vor dem Blachernenpalast an Land. Unsere Armee machte einen Ausfall vor die Mauern, geführt von dem jungen Kaiser, die Damen verfolgten das Spektakel von den Fenstern und Zinnen des Palastes aus und sagten, die Unseren hätten wie Engel ausgesehen mit ihren schönen, in der Sonne schimmernden Rüstungen. Erst als der Kaiser, anstatt sich in die Schlacht zu stürzen, wieder in die Stadt zurückkehrte, begriffen sie, dass etwas nicht so lief, wie es sollte. Und noch besser begriffen sie das ein paar Tage später, als die Lateiner die Mauern vom Meer aus angriffen und es einigen von ihnen gelang, sie zu erklimmen und die nächststehenden Häuser in Brand zu stecken. So kam es zur ersten großen Feuersbrunst, und nun erst begannen meine Mitbürger zu begreifen. Was aber tat Alexios III.? Er ließ nächtens zehn Kentenare Gold und anderen Schmuck auf ein Schiff verladen und floh mit ihm aus der Stadt.«
»Und sein Bruder Isaakios kehrte auf den Thron zurück.«
»Ja, aber er war schon alt und zudem geblendet, und die Lateiner erinnerten ihn daran, dass er die Herrschaft mit seinem Sohn teilen musste, der nun Alexios IV. wurde. Mit diesem törichten, unerfahrenen Kind hatten die Lateiner Pakte geschlossen, von denen wir noch nichts wussten: Das Byzantinische Reich sollte zum römisch-katholischen Glauben zurückkehren, der Basileus sollte den Kreuzpilgern zweihunderttausend Silbermark, Lebensmittel für ein Jahr, zehntausend Ritter zur Eroberung Jerusalems und eine Besatzung von fünfhundert Rittern im Heiligen Land geben. Isaakios stellte fest, dass nicht genug Geld im kaiserlichen Schatz war, und er konnte ja nicht gut hingehen und Klerus und Volk zu erzählen, dass er sich auf einmal dem Papst in Rom unterworfen habe ... So begann eine Farce, die sich über Monate hinzog. Einerseits machten sich Isaakios und sein Sohn, um das nötige Geld zusammenzuraffen, über die Kirchen her und plünderten sie. Die heiligen Ikonen Christi wurden mit Beilen von der Wand geschlagen, ihr Schmuck wurde abgebrochen und eingeschmolzen, die geweihten Geräte wurden aus den Kirchen geschleppt, ins Feuer geworfen und wie gewöhnliches Silber und Gold den Feinden gegeben. Andererseits tummelten sich die Lateiner, die vor Pera ankerten, auch auf dieser Seite des Goldenen Horns, saßen mit Isaakios an der Tafel, spielten sich überall als Herren auf und taten alles, um ihre Abreise zu verzögern. Sie behaupteten, sie warteten nur darauf, voll bezahlt zu werden, und wer am meisten darauf drängte, war der Doge Dandolo mit seinen Venezianern, aber ich glaube, in Wirklichkeit hatten sie hier das Paradies gefunden und lebten selig auf unsere Kosten. Noch nicht zufrieden damit, dass sie die Christen erpressten, und vielleicht zum Ausgleich dafür, dass sie noch nicht mit den Sarazenen in Jerusalem kämpften, gingen einige von ihnen hin und plünderten die Häuser der Sarazenen
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