Die historischen Romane
er war ein Engel, der von einem Gelobten Land angezogen wurde. Wir sahen ihn kleiner und kleiner werden, bis sein Bild mit dem der Ameisen dort unten verschmolz.«
Nach einer weiteren Zeit erreichten die Vögel Roch, treu den empfangenen Befehl befolgend, das Weichbild von Konstantinopel, dessen Kuppeln in der Sonne glitzerten. Sie landeten, wo sie landen sollten, und unsere Freunde befreiten sich aus ihren Gurten. Ein Mann, vielleicht der Agent Aloadins, kam ihnen entgegengelaufen, überrascht von der Ankunft so vieler Boten auf einmal. Der Poet lächelte ihn an, zog sein Schwert und schlug ihm mit einem einzigen Hieb den Kopf ab. »Ich segne dich im Namen Aloadins«, sagte er feierlich, während der Mann zusammensackte. »Ksch! Ksch!« machte er dann zu den Vögeln. Sie schienen den Sinn des Befehls zu verstehen, erhoben sich zum Flug und verschwanden am Horizont.
»Wir sind wieder zu Hause«, sagte der Boidi glücklich, obwohl er noch tausend Meilen von seinem Zuhause entfernt war.
»Hoffen wir, dass es hier noch irgendwo unsere genuesischen Freunde gibt«, sagte Baudolino. »Gehen wir sie suchen.«
»Ihr werdet sehen, unsere Täuferköpfe werden uns wieder zugute kommen«, sagte der Poet, der mit einem Schlag verjüngt schien. »Wir sind wieder unter Christen. Wir haben Pndapetzim verloren, aber wir könnten Konstantinopel erobern.«
»Er wusste nicht«, kommentierte Niketas mit einem traurigen Lächeln, »dass schon andere Christen dabei waren, es zu tun.«
37. Kapitel
Baudolino bereichert die Schätze von Byzanz
»Kaum hatten wir versucht, das Goldene Horn zu überqueren und die Stadt zu betreten, begriffen wir sofort, dass wir uns in der sonderbarsten Situation befanden, die wir je erlebt hatten. Es war keine belagerte Stadt, denn die Feinde waren, obwohl ihre Schiffe noch auf der Reede lagen, in Pera einquartiert, und viele von ihnen gingen in der Stadt umher. Es war aber auch keine eroberte Stadt, denn neben den Invasoren mit dem Kreuz auf der Brust patrouillierten auch die Bewaffneten des Kaisers durch die Straßen. Mit einem Wort, die Kreuzpilger waren in Konstantinopel, aber Konstantinopel gehörte nicht ihnen. Und als wir meine genuesischen Freunde erreichten, dieselben, bei denen auch du gewohnt hast, da konnten auch sie nicht so recht erklären, was geschehen war, noch was womöglich geschehen würde.«
»Das war auch für uns nicht leicht zu verstehen«, sagte Niketas mit einem resignierten Seufzer. »Und doch werde ich eines Tages die Geschichte dieser Monate schreiben müssen. Nach dem schlimmen Ende der Expedition zur Rückeroberung Jerusalems, die dein Friedrich und die Könige von Frankreich und England versucht hatten, wollten die Lateiner es zehn Jahre später noch einmal versuchen, diesmal unter der Führung großer Fürsten wie Balduin von Flandern oder Bonifaz von Montferrat. Aber sie brauchten eine Flotte, und die ließen sie sich von den Venezianern bauen. Ich habe dich höhnisch über den Geiz der Genueser reden hören, aber verglichen mit den Venezianern sind die Genueser die Großzügigkeit in Person. Die Lateiner hatten ihre Schiffe bekommen, aber sie hatten kein Geld, um sie zu bezahlen, und da verlangte der venezianische Doge Enrico Dandolo (das Schicksal wollte, dass auch er blind war, aber unter den vielen Blinden dieser Geschichte war er der einzige Weitblickende), dass sie zur Begleichung ihrer Schuld, bevor sie ins Heilige Land fuhren, für ihn die dalmatinische Hafenstadt Jadara oder Zara, wie ihr sie nennt, unterwarfen. Die Pilger willigten ein, und das war ihr erstes Verbrechen, denn man nimmt nicht das Kreuz, um dann eine Stadt für die Venezianer zu erobern. Unterdessen hatte Alexios, der Bruder jenes Isaakios Angelos, der Andronikos abgesetzt und selber die Macht ergriffen hatte, seinen Bruder blenden lassen und ans Ufer des Meeres verbannt, um sich seinerseits als Basileus zu proklamieren.«
»Das hatten mir die Genueser sofort erzählt. Es war eine wirre Geschichte, denn Isaakios' Bruder war Alexios III. geworden, aber es gab auch einen Alexios, der Isaakios' Sohn war: Er hatte fliehen können und war nach Zara gegangen, das inzwischen fest in venezianischer Hand war, um die lateinischen Pilger zu bitten, ihm auf den Thron seines Vaters zu verhelfen, wofür er ihnen seine Hilfe bei der Eroberung des Heiligen Landes versprach.«
»Man kann leicht etwas versprechen, das man noch nicht hat. Alexios III. hätte im übrigen begreifen müssen, dass
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