Die historischen Romane
der Stadt ein bisschen umgehört, die Leute reden zum Beispiel vom Purpurmantel Christi, von der Rute und der Säule der Geißelung, von dem mit Galle und Essig getränkten Schwamm, der dem sterbenden Jesus ans Kreuz gereicht wurde, nur dass er inzwischen trocken ist, von der Dornenkrone, von einem Kästchen, in dem ein Stück des gewandelten Brotes vom Letzten Abendmahl aufbewahrt wird, von Barthaaren des Gekreuzigten, von seinem nahtlosen Gewand, um das die Soldaten gewürfelt haben, vom Kleid der Madonna ...«
»Man müsste mal sehen, welche sich am leichtesten nachmachen lassen«, sagte Baudolino gedankenvoll.
»Genau«, sagte der Poet. »Eine Rute findet man überall, an eine Säule wollen wir lieber nicht denken, weil man die nicht gut unterm Tresen verkaufen kann.«
»Aber wieso sollen wir das Risiko mit Duplikaten eingehen? Nachher findet jemand die echte Reliquie, und die, denen wir die falsche verkauft haben, wollen ihr Geld zurück«, sagte Boron sehr vernünftig. »Überlegt doch mal, wie viele Reliquien es geben könnte . Zum Beispiel die zwölf Körbe der wunderbaren Vermehrung der Brote und Fische. Körbe gibt es überall, man muss sie nur ein bisschen dreckig machen, dass sie alt aussehen. Oder die Axt, mit der Noah die Arche gebaut hat, es wird doch wohl noch irgendwo eine alte Axt geben, die unsere Genueser weggeworfen haben, weil sie stumpf geworden ist.«
»Das ist keine schlechte Idee«, erwärmte sich der Boidi. »Geh auf die Friedhöfe und finde den Unterkiefer des Apostels Paulus, nicht den Kopf, sondern den linken Arm Johannes' des Täufers und mehr von der Sorte: die Reste der heiligen Agathe, des heiligen Lazarus, der Propheten Daniel, Samuel und Jesaja, den Schädel der heiligen Helena, ein Stück vom Kopf des Apostels Philippus.«
»Wenn's darum geht«, sagte Pevere mitgerissen von der Idee, »da brauch ich bloß dort unten ein bisschen zu wühlen, und im Nu finde ich euch ein Stück von der Krippe in Bethlehem, ein ganz kleines, bei dem man nicht genau weiß, wo es herkommt.«
»Ja, machen wir nie gesehene Reliquien«, sagte der Poet, »aber machen wir auch die, die es schon gibt, denn von denen reden die Leute, und der Preis steigt täglich.«
Das Haus der Genueser verwandelte sich für eine Woche in eine rührige Werkstatt. Der Boidi stolperte im Sägemehl über einen Nagel vom Heiligen Kreuz, Boiamondo band sich nach einer Nacht voll grässlicher Schmerzen einen Faden um einen kariösen Schneidezahn, zog heftig daran, und schon hatte er einen Zahn der heiligen Agathe, Grillo ließ Brot in der Sonne trocknen und tat Krümel davon in Kästchen aus altem Holz, die Taraburlo soeben gefertigt hatte. Pevere hatte ihnen die Körbe der wundersam vermehrten Brote und Fische ausgeredet, denn nach einem solchen Wunder hatten die Leute, meinte er, die Körbe doch sicher unter sich aufgeteilt, so dass nicht einmal Konstantin sie wieder hätte zusammensetzen können. Nur einen davon zu verkaufen mache keinen guten Eindruck, und auf jeden Fall würde es schwierig sein, ihn heimlich von Hand zu Hand weiterzureichen, denn wenn Jesus damit so viele Menschen gespeist hatte, konnte es sich nicht um ein Körbchen handeln, das man unter dem Mantel verstecken kann. Na schön, lassen wir die Körbe weg, meinte der Poet, aber Noahs Axt, die findest du mir. Warum nicht, sagte Pevere, hier hast du eine mit einer Klinge, die schon fast eine Säge ist, und mit einem schon ganz verkohlten Griff.
Danach verkleideten sich unsere Freunde als armenische Händler (die Genueser waren inzwischen bereit, die Unternehmung zu finanzieren) und zogen mit Verschwörermiene durch Tavernen und Feldlager der Pilger, hier ein halbes Wort fallenlassend, dort auf die Schwierigkeiten der Sache hinweisend, den Preis in die Höhe treibend, weil sie schließlich ihr Leben riskierten, und dergleichen mehr.
Eines Abends sagte der Boidi, er habe einen Ritter aus Montferrat gefunden, der sich für Noahs Axt interessierte, aber er wolle sicher sein, dass es die echte war. »Na schön«, sagte Baudolino, »gehen wir zu Noah und bitten ihn um eine eidesstattliche Erklärung mit Siegel.«
»Konnte Noah denn schreiben?« fragte Boron.
»Noah konnte sich bloß die Hucke vollaufen lassen«, sagte der Boidi. »Er muss ganz schön blau gewesen sein, als er die Tiere in die Arche lud: Bei den Mücken hat er's übertrieben, und die Einhörner hat er völlig vergessen, weswegen man heute keine mehr sieht.«
»Man sieht noch welche,
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