Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
Vom Netzwerk:
man sieht schon noch welche ...«, murmelte Baudolino, der plötzlich seine gute Laune verloren hatte.
    Pevere sagte, er habe auf seinen Reisen ein bisschen die Schrift der Juden erlernt und könne mit einem Messer ein paar von ihren Krakeln auf den Stiel der Axt ritzen. »Noah war doch Jude, oder?« Klar, Jude, bestätigten die Freunde. Armer Solomon, ein Glück, dass er nicht mehr da war, wie hätte er gelitten! Aber auf diese Weise gelang es dem Boidi am Ende tatsächlich, die Axt an den Mann zu bringen.
    An manchen Tagen war es schwierig, Käufer zu finden, weil die Stadt allmählich in Aufruhr geriet und die Pilger überraschend ins Lager zurückgerufen wurden, um dort auf weitere Befehle zu warten. So hieß es zum Beispiel, Murtzuphlos habe Philea angegriffen, unten an der Küste, die Pilger seien kompakt dazwischengegangen, es sei zu einer Schlacht gekommen oder jedenfalls zu einem Scharmützel, Murtzuphlos habe eine schöne Schlappe erlitten, und sie hätten das Banner mit der Jungfrauen-Ikone erobert, das sein Heer als Feldzeichen vor sich hertrug. Murtzuphlos war dann nach Konstantinopel zurückgekehrt, aber er hatte seinen Leuten verboten, zu irgendwem von dieser Schande zu sprechen. Die Lateiner hatten von seiner Zurückhaltung erfahren, und so ließen sie eines Morgens direkt vor den Mauern eine Galeere vorbeidefilieren, mit dem Banner gut in Sicht und auf Deck angetretenen Männern, die den Romäern obszöne Gesten hinübersandten, wie das Feigenzeichen oder das Schlagen der linken Hand auf den rechten Arm. Murtzuphlos hatte nicht gut ausgesehen, und in den Straßen sangen die Leute Spottlieder über ihn.
    Kurz und gut, zwischen der Zeit, die man zur Herstellung einer guten Reliquie braucht, und der, die es dauert, bis man sie gut untergebracht hat, vergingen für unsere Freunde die Monate Januar, Februar und März; mit dem Kinn des heiligen Eoban heute und dem Schienbein der heiligen Kunigunde morgen brachte sie eine hübsche Summe zusammen, die es ihnen erlaubte, sowohl den Kredit der Genueser zurückzuzahlen als auch sich selbst gehörig neu einzukleiden.
    »Dies mag dir erklären, Kyrios Niketas, warum in den letzten Wochen so viele doppelt vorhandene Reliquien in deiner Stadt aufgetaucht sind, bei denen inzwischen Gott allein weiß, welche von beiden die echte ist. Aber versetz dich einmal in unsere Lage, wir mussten ja irgendwie überleben, zwischen den Lateinern einerseits, die jederzeit zu Diebstahl und Raub bereit waren, und deinen Graeculi, entschuldige, deinen Römern andererseits, die bereit waren, sie zu betrügen. Letztlich haben wir nur die Betrüger betrogen.«
    »Nun ja«, sagte Niketas resigniert, »vielleicht werden ja viele dieser Reliquien verrohte Lateiner, die sich in ihren rohen Kirchen versammeln, zu heiligen Gedanken inspirieren. Heilig der Gedanke, heilig die Reliquie. Die Wege des Herrn sind unendlich.«
     
    Eigentlich konnten sie sich nun entspannen und in ihre Heimatländer abreisen. Boron und Kyot hatten keine Ideen mehr, sie hatten es inzwischen aufgegeben, nach dem Gradal zu suchen und mit ihm nach Zosimos. Der Boidi sagte, mit dem verdienten Geld werde er sich in Alexandria ein Weingut kaufen und den Rest seines Lebens als Herr verbringen. Baudolino hatte noch weniger Ideen als die anderen: Die Suche nach dem Reich des Priesters Johannes war beendet, Hypatia war verloren, was bedeutete es ihm da noch, ob er lebte oder starb? Nur der Poet wurde immer noch von Allmachtsphantasien umgetrieben: Er verstreute die Dinge des Herrn in der Welt, er hätte längst anfangen können, einige Stücke nicht bloß untergeordneten Pilgern anzubieten, sondern den Mächtigen, die sie führten, um dafür deren Gunst zu erwerben.
    Eines Abends kam er nach Hause und berichtete, in Konstantinopel befinde sich das Mandylion, das Antlitz von Edessa, eine Reliquie von unschätzbarem Wert.
    »Was ist denn dieses Mandylion?« fragte Boiamondo.
    »Ein kleines Tuch, mit dem man sich das Gesicht abtrocknet«, erklärte der Poet, »und darauf ist das Antlitz des Herrn zu sehen. Nicht gemalt, sondern eingedrückt, durch Naturkraft eingeprägt – ein acheiropoieton , ein nicht von Menschenhand gemachtes Werk. König Abgar V. von Edessa war leprakrank und hatte seinen Archivar Hannan zu Jesus gesandt, um ihn zu bitten, nach Edessa zu kommen und ihn zu heilen. Jesus konnte nicht nach Edessa gehen, und da hat er dieses Tuch genommen, sich damit das Gesicht abgetrocknet und sein Abbild darin hinterlassen.

Weitere Kostenlose Bücher