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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Natürlich ist der König, als er das Tuch bekam, sofort gesund geworden und hat sich zum wahren Glauben bekehrt. Später, als die Perser Edessa belagerten, wurde das Mandylion auf der Stadtmauer gehisst und hat die Stadt gerettet. Dann erwarb es der Kaiser Konstantin und brachte es hierher, und hier war es zuerst in der Blachernenkirche, dann in der Hagia Sophia und dann in der Pharoskapelle. Und es ist wirklich das echte Mandylion, auch wenn behauptet wird, dass es noch andere gebe – im kappadokischen Camulia, im ägyptischen Memphis und in Anablatha bei Jerusalem. Was nicht unmöglich ist, denn schließlich hatte sich Jesus mehrmals im Leben das Gesicht abtrocknen können. Aber dieses hier ist sicher das wundertätigste von allen, denn am Ostertag ändert sich das Antlitz mit den Stunden des Tages: Bei Sonnenaufgang nimmt es die Züge des neugeborenen Jesus an, in der dritten Stunde die des zwölfjährigen Jesus und so weiter, bis es schließlich im Moment der Passion als erwachsener Jesus erscheint.«
    »Woher weißt du das alles?« fragte der Boidi.
    »Das hat mir ein Mönch erzählt. Nun passt auf, dies ist eine wahrhaftige Reliquie, und mit einem solchen Objekt kann man sich in unseren Ländern hohe Ehren und gute Posten erwerben, man muss nur den richtigen Bischof finden, so wie es Baudolino mit seinen drei Magiern bei Rainald gemacht hat. Bisher haben wir Reliquien verkauft, jetzt ist der Moment gekommen, eine zu erwerben, aber eine, die unser Glück machen wird.«
    »Und von wem willst du das Mandylion erwerben?« fragte Baudolino müde, denn er hatte allmählich genug von diesem ganzen Geschacher.
    »Es ist bereits von einem Syrer erworben worden, mit dem ich einen Abend gepichelt habe, und der arbeitet für den Herzog von Athen. Aber er hat mir gesagt, dass dieser Herzog das Mandylion und wer weiß was sonst noch alles hergeben würde, um die Sydoines zu kriegen.«
    »Und was bitte ist die Sydoines?« fragte der Boidi.
    »Das heilige Schweißtuch, auf dem ein Abbild des ganzen Leibes Jesu zu sehen ist. Es heißt, es sei in der Marienkirche der Blachernen gewesen. Man spricht davon in der Stadt, es heißt, König Amalrich von Jerusalem habe es gesehen, als er den Kaiser Manuel Komnenos besuchte. Andere haben mir gesagt, es sei in die Obhut der Marienkirche am Bukoleon gegeben worden. Aber niemand hat es jemals gesehen, und wenn es dort gewesen war, ist es seit langem verschwunden.«
    »Ich verstehe nicht, worauf du hinauswillst«, sagte Baudolino. »Jemand hat das Mandylion, einverstanden, und er könnte es gegen diese Sydoines eintauschen, aber du hast die Sydoines nicht, und ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie wir hier ein Abbild von Unserem Herrn Jesus Christus herstellen sollen. Also was?«
    »Ich habe die Sydoines nicht«, sagte der Poet. »Aber du.«
    »Ich?«
    »Weißt du noch, wie ich dich gefragt habe, was in dieser Schatulle war, die dir die beiden Getreuen des Diakons vor unserer Flucht aus Pndapetzim übergaben? Du hast mir gesagt, da sei das Abbild dieses Unglücklichen drin, eingedrückt in sein Leichentuch, kurz nachdem er gestorben war. Zeig es mir.«
    »Du bist verrückt, das ist ein heiliges Vermächtnis, der Diakon hat es mir anvertraut, damit ich es dem Priester Johannes bringe.«
    »Baudolino, du bist über sechzig und glaubst immer noch an den Priester Johannes? Wir haben es doch mit Händen gegriffen, dass es ihn nicht gibt! Zeig mir dieses Tuch.«
    Widerwillig holte Baudolino die Schatulle aus seinem Reisesack, entnahm ihr eine Stoffrolle und brachte, als er sie entrollte, ein großes Leintuch zum Vorschein. Es war so groß, dass er die anderen bitten musste, Tische und Schemel beiseite zu rücken, denn er brauchte viel Platz, um es ganz auf dem Boden auszubreiten.
    Es war ein ungewöhnlich großes Bettlaken, auf dem eine menschliche Gestalt in doppelter Ausführung zu sehen war, als hätte der darin eingehüllte Leib seinen Abdruck zweimal hinterlassen, einmal von vorn und einmal von hinten. Man erkannte sehr gut ein Gesicht, das lange, auf die Schultern fallende Haar, den Bart, die geschlossenen Augen. Von der Gnade des Todes berührt, hatte der unglückliche Diakon auf diesem Tuch das Bildnis heiterer Züge und eines gesunden Leibes hinterlassen, in dem man nur mit Mühe undeutliche Zeichen von Verletzungen, Flecken oder Wunden erkannte, die Spuren der Lepra, die ihn zerstört hatte.
    Baudolino betrachtete es bewegt und musste zugeben, dass der Verstorbene auf

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