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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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auf dem Bug einer Galeere stand, und Murtzuphlos, der ihn vom Ufer aus beschimpfte und den Lateinern zurief, sie sollten sein Land umgehend verlassen. Es war klar, dass Murtzuphlos verrückt geworden war und die Lateiner ihn, wenn sie wollten, mit einem Schlag erledigen konnten. Man sah auf der anderen Seite des Goldenen Horns die Vorbereitungen in ihrem Lager, und auf dem Deck der dort vor Anker liegenden Schiffe war ein ständiges Kommen und Gehen von Seeleuten und Bewaffneten, die sich auf den Angriff vorbereiteten.
    Der Boidi und Baudolino fanden, dass es Zeit war, zumal sie ja nun ein bisschen Geld hatten, sich aus Konstantinopel fortzumachen, denn ausgeplünderte Städte hätten sie schon zur Genüge gesehen. Boron und Kyot waren einverstanden, doch der Poet bat sie, noch ein paar Tage zu warten. Er hatte sich von seiner Schlappe erholt und wollte offensichtlich die letzten Stunden noch nutzen, um einen großen Coup zu landen, von dem er selber nicht wusste, worin der bestehen könnte. Er hatte bereits den Blick eines Irren, und mit Irren kann man bekanntlich nicht diskutieren. So erfüllten sie ihm seinen Wunsch, wobei sie sich sagten, es werde genügen, die Schiffe im Auge zu behalten, um zu wissen, wann der Moment gekommen sein würde, sich ins Landesinnere davonzumachen.
    Der Poet blieb zwei Tage fort, und das war zu viel. Denn am Morgen des Freitag vor Palmsonntag war er noch nicht zurück, und da hatten die Pilger schon angefangen, vom Meer aus anzugreifen, zwischen dem Blachernenpalast und dem Euergeteskloster, ungefähr in der Gegend namens Petria, nördlich der Konstantinsmauer.
    Es war zu spät, die Stadt zu verlassen, die inzwischen von allen Seiten umzingelt war. Ihren Herumtreiber von Gefährten verfluchend, beschlossen Baudolino und die anderen, lieber bei den Genuesern zu bleiben, deren Viertel nicht bedroht zu sein schien. So warteten sie, und Stunde für Stunde hörten sie neue Nachrichten aus Petria.
    Die Schiffe der Pilger strotzten von Belagerungsmaschinen. Murtzuphlos stand auf einem kleinen Hügel hinter der Mauer, zusammen mit allen seinen Heerführern und Höflingen und Bannerträgern und Trompetern. Doch trotz dieser Parade schlugen sich seine Soldaten nicht schlecht: Die Lateiner hatten mehrmals zu stürmen versucht und waren jedes Mal zurückgeworfen worden, unter dem Jubel der Graeculi, die auf den Mauern standen und den Abgewiesenen ihren nackten Hintern zeigten, während Murtzuphlos triumphierte, als habe er das alles gemacht, und schon den Befehl gab, die Siegesfanfaren zu blasen.
    So schien es zunächst, dass Dandolo und die anderen Anführer darauf verzichteten, die Stadt auszuquetschen, und sowohl der Samstag als auch der Sonntag vergingen, ohne dass etwas geschah, auch wenn alle sehr wachsam blieben. Baudolino nutzte die gespannte Ruhe, um kreuz und quer durch Konstantinopel zu streifen auf der Suche nach dem Poeten, aber vergeblich.
    Es war schon die Nacht zum Montag, als ihr Gefährte endlich wiederkam. Sein Blick war noch irrer als zuvor, er sagte kein Wort, setzte sich hin und trank schweigend bis zum nächsten Morgen.
    Im ersten Licht jenes Montagmorgens begannen die Pilger wieder zu stürmen, und so ging es den ganzen Tag weiter. Die Sturmleitern der venezianischen Schiffe waren erfolgreich an einige Türme der Stadtmauern angelegt worden, die Kreuzritter waren in die Stadt eingedrungen, oder nein, es war nur ein einziger, ein Riese mit einem Helm wie eine turmbewehrte Stadt, der die Verteidiger mit Entsetzen erfüllt und in die Flucht getrieben hatte. Oder nein, jemand war an Land gesprungen, hatte eine Pforte in der Mauer gefunden, hatte sie mit Piken zerstört und ein Loch in die Mauer geschlagen, ja, aber dann waren sie zurückgedrängt worden, doch einige Türme waren bereits erobert ...
    Der Poet ging im Zimmer auf und ab wie ein Tier im Käfig, er schien ungeduldig darauf zu warten, dass die Schlacht sich für eine der beiden Seiten entschied, er sah Baudolino an, als wollte er ihm etwas sagen, verzichtete dann aber darauf und verfolgte mit düsterem Blick die Bewegungen seiner drei anderen Gefährten. Nach einer Weile kam die Nachricht, dass Murtzuphlos sein Heer im Stich gelassen und die Flucht ergriffen hatte, woraufhin die Verteidiger das bisschen Mut, das ihnen noch geblieben war, verloren, so dass die Pilger vorstoßen und die Mauern überwinden konnten. Sie wagten allerdings nicht, tiefer in die Stadt einzudringen, da es bereits dunkelte, und begnügten

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