Die historischen Romane
gute Kur sein können, aber er hat, noch bevor er wieder zu Bewusstsein kam, wieder zu atmen begonnen, dabei hat er Wasser geschluckt und ist ertrunken. Als ihr ihn ans Ufer gezogen habt, müsstet ihr gesehen haben, ob er das Aussehen eines Ertrunkenen hatte ...«
»Er war aufgedunsen. Ich wusste, dass es nicht sein konnte, und hielt es für eine Einbildung angesichts dieser zerschundenen und zerschlagenen Reste ...«
»Ein Toter bläht sich nicht auf, wenn er unter Wasser liegt. Das geschieht nur bei einem Lebenden, der unter Wasser stirbt.«
»Dann ist also Friedrich nur einem außergewöhnlichen, ihm unbekannten Unwohlsein zum Opfer gefallen und nicht getötet worden?«
»Ihm ist das Leben genommen worden, sicher, aber von dem, der ihn ins Wasser geworfen hat.«
»Aber das war ich!«
»Wirklich ein furchtbares Unglück. Ich verstehe deine Erregung. Aber beruhige dich. Du hast es in gutem Glauben getan, bestimmt nicht, um seinen Tod herbeizuführen.«
»Aber ich habe bewirkt, dass er gestorben ist!«
»Das nenne ich nicht töten.«
»Aber ich wohl!« schrie Baudolino auf. »Ich habe meinen geliebten Vater ertrinken lassen, während er noch lebte! Ich ...« Er wurde noch bleicher, stammelte ein paar zusammenhanglose Worte und verlor das Bewusstsein.
Er kam wieder zu sich, als Niketas ihm kalte Tücher auf die Stirn legte. Paphnutios war gegangen, vielleicht fühlte er sich schuldig, weil er Baudolino, um zu zeigen, wie gut er die Dinge durchschaute, eine schreckliche Wahrheit enthüllt hatte.
»Versuche jetzt, ruhig zu bleiben«, sagte Niketas. »Ich verstehe, dass du erschüttert bist, aber es war ein Unglück, eine Verkettung fataler Umstände. Du hast gehört, was Paphnutios gesagt ha: Jeder hätte diesen Mann für tot gehalten. Auch mir sind Fälle von Scheintod zu Ohren gekommen, die jeden Mediziner getäuscht haben.«
»Ich habe meinen Vater getötet«, wiederholte Baudolino in einem fort, nun von heftigen Fieberschauern geschüttelt. »Ich habe ihn, ohne es zu wissen, gehasst, weil ich seine Frau begehrt hatte, meine Adoptivmutter. Ich war erst Ehebrecher und dann Vatermörder, und nachdem ich mir diese Lepra aufgeladen hatte, habe ich mit meinem inzestuösen Samen die reinste der Jungfrauen besudelt und sie glauben lassen, dies sei die Ekstase, die man ihr versprochen hatte. Ich bin ein Mörder, weil ich den Poeten getötet habe, der unschuldig war ...«
»Er war nicht unschuldig, er war von einer rasenden Gier erfüllt, er wollte dich töten, du hast dich nur gewehrt.«
»Ich habe ihn zu Unrecht des Mordes bezichtigt, den ich selbst begangen hatte, ich habe ihn getötet, um nicht zugeben zu müssen, dass ich mich selbst bestrafen müsste, ich habe mein ganzes Leben lang in der Lüge gelebt, ich will sterben, ich will zur Hölle fahren und in Ewigkeit leiden ...«
Es war nutzlos, ihn beruhigen zu wollen, und man konnte nichts tun, um ihn zu heilen. Niketas ließ Theophilattos einen Schlaftee bereiten und flößte ihn ihm ein. Kurz darauf schlief Baudolino den unruhigsten Schlaf seines Lebens.
Als er am nächsten Tag wieder erwachte, lehnte er eine Tasse heiße Brühe ab, die ihm gebracht wurde, und ging wortlos hinaus in den Garten, setzte sich unter einen Baum und verharrte dort schweigend, den Kopf in die Hände gestützt, den ganzen Tag lang, und am nächsten Morgen saß er immer noch da. Niketas kam zu dem Schluss, dass in solchen Fällen das beste Heilmittel Wein sei, und brachte ihn dazu, im Überfluss davon zu trinken. Baudolino blieb in einem Zustand anhaltender Starre drei Tage und drei Nächte unter dem Baum.
Am Morgen des vierten Tages kam Niketas, um wie üblich nach ihm zu sehen, und fand ihn nicht mehr. Er durchsuchte den Garten und das Haus, aber Baudolino war verschwunden. Schon fürchtend, er könnte beschlossen haben, eine Verzweiflungstat zu begehen, schickte Niketas den getreuen Theophilattos und seine beiden Söhne aus, in ganz Selymbria und Umgebung nach ihm zu suchen. Zwei Stunden später kamen sie zurück und riefen Niketas, er solle rasch kommen und sehen. Sie führten ihn zu jenem offenen Platz am Stadtrand, auf dem die Eremitensäule stand, die sie bei ihrer Ankunft aus Konstantinopel gesehen hatten.
Eine Gruppe Neugieriger hatte sich um die Säule geschart und zeigte hinauf. Die Säule war aus weißem Stein, etwa so hoch wie ein zweistöckiges Haus. Oben verbreiterte sie sich zu einer quadratischen Plattform mit einer Balustrade aus kleinen Säulen in
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