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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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ziemlich tiefe Abdrücke sogar, deren Ränder, wie mein kluger Lehrer sofort erkannte, nicht so scharf waren wie die der Mönche und Knechte, was bedeutete, dass frischer Schnee darauf gefallen war und sie folglich älter sein mussten. Doch am bemerkenswertesten an diesen Abdrücken war, dass zwischen ihnen eine ununterbrochene dünne Spur verlief, wie wenn derjenige, der hier gegangen war, etwas hinter sich hergeschleift hätte. Mit einem Wort: ein Streifen im Schnee, der vom Bottich zum Refektorium führte, zur Mauer des Aedificiums zwischen dem Süd- und dem Ostturm.
    »Refektorium, Skriptorium, Bibliothek«, sagte Wam. »Schon wieder die Bibliothek! Ich sage dir: Venantius ist im Aedificium gestorben – und zwar aller Wahrscheinlichkeit nach in der Bibliothek!«
    »Warum ausgerechnet in der Bibliothek?«
    »Ich versuche, mich in die Lage des Mörders zu versetzen. Hätte er Venantius im Refektorium, in der Küche oder im Skriptorium umgebracht, warum ließ er ihn dann nicht einfach dort liegen? Hat er ihn aber in der Bibliothek ermordet, dann musste er ihn woandershin bringen, sei’s weil die Leiche in der Bibliothek nie gefunden worden wäre (und vielleicht war dem Mörder daran gelegen, dass man sie findet), sei’s weil der Mörder nicht wollte, dass sich die Aufmerksamkeit auf die Bibliothek konzentriert.«
    »Und wieso sollte dem Mörder daran gelegen sein, dass man die Leiche findet?«
    »Ich weiß nicht, ich stelle nur Hypothesen auf. Wer sagt dir zum Beispiel, dass der Mörder Venantius getötet hat, weil er Venantius hasste? Er könnte ihn auch statt eines anderen getötet haben, als Zeichen, um auf etwas anderes hinzuweisen.«
    » Omnis mundi c reatura quasi liber et scriptura...«, murmelte ich unwillkürlich. »Aber was wäre das dann für ein Zeichen?«
    »Eben das ist es, was ich nicht weiß. Aber vergessen wir nie, dass es auch Zeichen gibt, die nur scheinbar etwas bedeuten, in Wahrheit aber ganz sinnlos sind, wie blitiri oder bu-ba-baff...«
    »Es wäre grässlich«, sagte ich, »einen Menschen zu töten, um nichts als bu-ba-baff zu sagen!«
    »Es wäre auch grässlich«, versetzte William, »einen Menschen zu töten, um Credo in unum Deum zu sagen...«
    In diesem Moment kam Severin zurück und berichtete uns, der Leichnam sei gewaschen und sorgfältig untersucht worden.
    Keine Verletzung und keine Prellung. Venantius sei offenbar wie durch Zauber gestorben.
    »Vielleicht durch Gottes strafende Hand?« fragte William.
    »Vielleicht«, antwortete Severin.
    »Oder durch Gift?«
    Severin zögerte: »Möglich, auch das.«
    »Hast du Gift in deinem Laboratorium?« fragte William, während wir uns zum Spital begaben.
    »Gewiss, auch. Das hängt ganz davon ab, was du unter Gift verstehst. Es gibt Substanzen, die in kleiner Dosierung heilend wirken und in zu großer tödlich sind. Wie jeder gute Botaniker habe ich solche natürlich und mache diskret von ihnen Gebrauch. Zum Beispiel züchte ich Baldrian in meinem Garten. Wenige Tropfen davon in einen Aufguss aus anderen Kräutern wirken beruhigend auf das Herz, wenn es unregelmäßig schlägt. Eine übertriebene Dosis führt zum Starrkrampf und schließlich zum Tod.«
    »Und an der Leiche hast du keine Spuren eines besonderen Giftes gefunden?«
    »Keine. Aber viele Gifte hinterlassen auch gar keine Spuren.«
    Wir gelangten zum Hospital. Die Leiche war, nachdem man sie im Badehaus gewaschen hatte, hierher gebracht worden und lag nun auf einem großen Tisch in Severins Laboratorium. Destillierkolben und ähnliche Gegenstände aus Glas und Ton ließen mich sofort (obwohl ich nur aus Erzählungen davon wusste) an eine Alchimistenwerkstatt denken. Phiolen, Flaschen, Krüge und Schalen reihten sich auf einem langen Regal an der Wand.
    »Prächtige Heilkräutersammlung«, sagte William. »Alles Erzeugnisse eures Gartens?«
    »Nein«, antwortete Severin. »Viele Substanzen, seltene und solche, die nicht in dieser Gegend wachsen, sind mir im Lauf der Jahre von Mönchen aus allen Teilen der Welt gebracht worden. Ich habe sehr kostbare, die man kaum auftreiben kann, neben anderen, die sich leicht aus der hiesigen Vegetation gewinnen lassen. Sieh mal, hier zum Beispiel... gestoßenes Alghalingho, kommt aus Kathai, ich erhielt es von einem arabischen Gelehrten. Aloesaft aus Indien, gibt einen sehr guten Wundverband. Quecksilber, macht Tote wieder lebendig, oder sagen wir lieber: macht Ohnmächtige wieder munter. Arsenik: sehr gefährlich, ein tödliches Gift, wenn

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