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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Zelle zu Zelle ging und in jede hineinrief Benedicamus Domino, was dann der also Geweckte mit einem Deo gratias beantwortete.
    William und ich hielten uns an den benediktinischen Brauch: In weniger als einer halben Stunde waren wir bereit, den neuen Tag zu empfangen, und begaben uns in den Chor, wo die Mönche ausgestreckt auf dem Boden lagen und die ersten fünfzehn Psalmen rezitierten, bis die Novizen eintrafen, angeführt von ihrem Meister. Dann nahmen alle im Chorgestühl Platz und intonierten das Domine labia mea aperies et os meum adnuntiabit laudem tuam. Der Gesang stieg zum hohen Gewölbe der Kirche empor wie das Bittgebet eines Kindes. Alsdann bestiegen zwei Mönche die Kanzel und sangen den vierundneunzigsten Psalm, Venite exultemus , und heiß überkam mich das Glücksgefühl eines erneuerten Glaubens.
    Die Mönche saßen im Chorgestühl, sechzig dunkle Gestalten, alle gleich anzusehen in ihren schwarzen Kapuzen und Kutten, sechzig Schatten, kaum aufgehellt vom Fackelschein auf dem hohen Dreifuß, und sechzig Stimmen erhoben sich fromm zum Lobe des Höchsten. Und während ich andächtig diesem bewegenden Wohlklang lauschte, diesem klingenden Vorhof der Freuden des Paradieses, fragte ich mich, ob denn wirklich diese Abtei ein Ort verstohlener Geheimnisse, sündhafter Heimlichkeiten und finsterer Drohungen war – erschien sie mir nun doch ganz wie ein Heiligenschrein, ein Hort der Tugend, Gehege der Weisheit, Gefäß der Besonnenheit, Turm der Gelehrsamkeit, Garten der Demut, Born des Friedens, Bollwerk der Festigkeit und Rezeptakulum aller Gottesfurcht.
    Nachdem sechs Psalmen verklungen waren, begann Lesung aus der Heiligen Schrift. Die Mönche folgten ihr reglos, den Kopf auf die Brust gesenkt. Bei manchen neigte er sich auch ein wenig zur Seite, und um zu verhindern, dass sie endgültig einnickten, ging zwischen den Reihen einer der Vigilantes umher mit einer kleinen Lampe: Wer in des Morpheus Armen ertappt wurde, musste zur Sühne die Lampe nehmen und selber den Rundgang fortsetzen. Nach der Lesung wurden noch einmal sechs Psalmen gesungen. Dann erteilte der Abt seinen Segen, der Vorleser sprach das Gebet, und alle neigten ihre entblößten Häupter vor dem Altar zu einer Minute der Sammlung – ein Augenblick, dessen Süße niemand ermessen kann, der solche Stunden mystischer Glut und tiefsten inneren Friedens nicht selber erlebt hat. Schließlich setzten sich alle wieder, zogen erneut die Kapuzen über und sangen feierlich das Te Deum . Und auch ich lobte den Herrn, weil er mich erlöst hatte von meinen Zweifeln, und mir das Gefühl des Unbehagens genommen, in welches mein erster Tag in dieser Abtei mich gestürzt hatte. Schwache und schwankende Wesen sind wir allzumal, sagte ich mir; auch unter diesen gelehrten und frommen Mönchen säet der Böse zuweilen Streit, Neidereien und Hader, doch all das vergehet wie flüchtiger Rauch vor dem Sturmwind des Glaubens, sobald sich die Bruderschaft wieder zusammenfindet im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.
     
    Zwischen Mette und Laudes pflegen die Mönche nicht wieder in ihre Zellen zu gehen, auch wenn es noch dunkel ist. Die Novizen begaben sich mit ihrem Meister in den Kapitelsaal, um gemeinsam die Psalmen zu lernen, einige Mönche blieben gleich in der Kirche, um die geweihten Geräte zu pflegen, die meisten verbrachten die Zeit meditierend im Kreuzgang, und so taten’s auch wir. Die Knechte und Diener schliefen noch, und sie schliefen weiterhin fest, als wir uns, bei immer noch dunklem Himmel, zu Laudes erneut in den Chor begaben.
    Wieder begann das Singen der Psalmen. Doch einer von ihnen, einer der für den Montag vorgeschriebenen, weckte diesmal mein Unbehagen aufs Neue, hieß es doch da: »Die Sünde erfasst den Gottlosen in seinem Herzen, keine Gottesfurcht ist in seinen Augen – voller Hinterlist handelt er, seine Worte sind schädlich und erlogen – Übles sinnt er auf seinem Lager und stehet fest auf dem bösen Weg und scheuet kein Arges!« Ein schlimmes Omen schien es mir, dass die Regel des heiligen Benedikt gerade für diesen Tag eine so dräuende Mahnung vorschrieb. Auch die anschließende Lesung aus der Apokalypse konnte mich nicht beruhigen, sondern erinnerte mich an die Figuren des Kirchenportals, die mir am Vortag das Herz und den Blick so schwer gemacht hatten. Doch nach dem Responsorium, dem Ambrosianischen Hymnus und dem Vers, als der Cantus des Evangeliums gerade begann, gewahrte ich hinter den Fenstern des

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