Die historischen Romane
höhnisch, ob er denn dieses Buch des Aristoteles zufällig schon mal gelesen habe, worauf Venantius antwortete, noch niemand habe es lesen können, da es nicht gefunden worden und vermutlich verlorengegangen sei. Und in der Tat hat noch niemand das zweite Buch der Poetik des Aristoteles lesen können, auch Wilhelm von Moerbeke hatte es nie in der Hand. Worauf nun Jorge erklärte, wenn man es nicht gefunden habe, dann läge das eben daran, dass es niemals geschrieben worden sei, weil die Vorsehung nicht gewollt habe, dass dergleichen nichtige Dinge verherrlicht würden. Ich wollte nun die Gemüter besänftigen, denn Ihr müsst wissen: Jorge ist leicht zu erzürnen, und Venantius redete in provozierendem Ton, und so sagte ich, dass auch in dem uns bekannten Teil der Poetik des Aristoteles – ebenso wie in seiner Rhetorik – viele kluge Bemerkungen über geistreiche Rätsel zu finden seien, und Venantius stimmte mir zu. An dieser Stelle griff nun Pacificus von Tivoli ein, der ein großer Kenner der heidnischen Dichter ist, und sagte, in Sachen geistreiche Rätsel übertreffe niemand die Afrikaner. Zum Beweis zitierte er gleich das Fischrätsel des Symphosius:
Est domus in terris, clara quae voce resultat.
Ipsa domus resonat, tacitus sed non sonat hospes.
Ambo tamen currunt, hospes simul et domus una.
Darauf erwiderte Jorge streng, Jesus habe uns geboten, unsere Rede sei ja oder nein, und was darüber ist, ist von Übel; und es genüge, Fisch zu sagen, um den Fisch zu benennen, ohne seinen Begriff zu verschleiern unter täuschenden Lauten. Und er fügte hinzu, es erscheine ihm nicht gerade klug, sich ausgerechnet die Afrikaner zum Vorbild zu nehmen... Und da...«
»Da?«
»Da geschah etwas, das ich nicht ganz verstand. Berengar fing plötzlich zu lachen an, und als Jorge ihn dafür tadelte, sagte er, ihm sei gerade in den Sinn gekommen, dass man bei den Afrikanern noch ganz andere Rätsel finden könnte, und nicht so leichte wie das vom Fisch. Als Malachias das hörte, wurde er wütend, packte Berengar an der Kapuze und schickte ihn weg, er solle sich gefälligst um seine eigenen Dinge kümmern... Ihr wisst ja, Berengar ist sein Adlatus...«
»Und dann?«
»Dann beendete Jorge die Diskussion, indem er sich umdrehte und davonging. Wir setzten uns alle wieder an unsere Arbeit. Aber von meinem Tisch aus sah ich, dass erst Venantius und dann Adelmus zu Berengar gingen und ihn etwas fragten. Wie mir schien, wich er zwar ihren Fragen aus, doch im Laufe des Tages gingen die beiden noch mehrmals zu ihm hin. Und am Abend sah ich dann Berengar und Adelmus im Kreuzgang miteinander tuscheln, bevor sie ins Refektorium gingen. Und das ist alles, was ich Euch berichten kann, mehr weiß ich nicht.«
»Immerhin weißt du also, dass die beiden Brüder, die hier vor Kurzem unter mysteriösen Umständen zu Tode gekommen sind, vorher Berengar etwas gefragt hatten...«
Benno wehrte sich heftig: »Das habe ich nicht gesagt! Ich habe Euch nur erzählt, was an jenem Tage geschehen ist, wie Ihr es verlangt habt...« Er unterbrach sich, überlegte einen Moment und fügte dann hastig hinzu: »Aber wenn Ihr meine Meinung wissen wollt: Berengar hat mit den beiden über etwas in der Bibliothek gesprochen. Dort müsstet Ihr suchen.«
»Wieso in der Bibliothek? Was meinte Berengar, als er sagte, man müsse die schwierigen Rätsel bei den Afrikanern suchen? Meinte er damit, man solle die afrikanischen Dichter mehr lesen?«
»Mag sein, so schien es jedenfalls, aber warum wurde Malachias dann so wütend? Schließlich entscheidet er letzten Endes, ob man ein Buch eines afrikanischen Dichters lesen darf oder nicht. Eins weiß ich allerdings: Wenn man den Katalog der Bücher durchblättert, findet man unter den Bemerkungen, die nur der Bibliothekar versteht, oft eine, die heißt ›Africa‹, und ich habe sogar schon ›finis Africae‹ gefunden. Einmal habe ich ein Buch mit dieser Signatur bestellt, ich weiß nicht mehr, wie es hieß, aber der Titel hatte mich neugierig gemacht, und da sagte mir Malachias, die Bücher mit diesem Zeichen seien verloren gegangen. Das weiß ich. Und deswegen sage ich Euch: Es stimmt, Ihr solltet auf Berengar achten, besonders wenn er in die Bibliothek geht. Man kann nie wissen.«
»Ja, man kann nie wissen«, nickte William und entließ den jungen Studiosus.
Als wir allein waren, machten wir ein paar Schritte im Kreuzgang, und William fasste zusammen: Erstens sei Berengar offenbar wieder einmal Anlass zu
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