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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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gefehlt?«
    »Nicht dass ich wüsste.«
    William zögerte einen Moment, bevor er die nächste Frage stellte, und fragte dann leise, so dass ihn möglichst kein anderer hören konnte: »War Berengar an seinem Platz?«
    Der Abt sah ihn mit einer Mischung aus Unruhe und Bewunderung an, als wollte er seine Überraschung darüber zum Ausdruck bringen, dass William einen Verdacht hegte, der ihm selber gerade gekommen war, freilich aus verständlicheren Gründen. Dann sagte er rasch: »Ja, er war da, in der ersten Reihe, fast direkt neben mir.«
    »Natürlich«, sagte William, »bedeutet das alles gar nichts. Ich glaube nicht, dass jemand über den Hof gegangen ist, um sich dann von hier aus in die Kirche zu begeben. Folglich kann der Leichnam schon seit Stunden im Blut gesteckt haben, möglicherweise schon seit der ersten Stunde nach Komplet, als alle schlafen gingen.«
    »Gewiss, die ersten Knechte stehen auf, wenn es hell zu werden beginnt, und deshalb haben sie ihn auch erst jetzt entdeckt.«
    William beugte sich über den Toten und musterte ihn, als wäre er den Umgang mit Leichen gewohnt. Er tauchte das Tuch ins Wasser und wischte die restlichen Blutspuren vom Gesicht. Inzwischen waren die anderen Mönche alle gekommen, standen erschrocken im Kreis um den Bottich und schwatzten aufgeregt durcheinander, bis der Abt ihnen Ruhe gebot. Severin drängte sich durch die Reihen, der Bruder Botanikus, der sich auch um die Leichen in der Abtei zu kümmern hatte, und beugte sich neben William über den Toten. Ich überwand mein Grauen und trat als Dritter hinzu, um meinem Meister zu helfen, falls er ein neues Tuch und mehr Wasser brauchte, und um zu hören, was die beiden miteinander redeten.
    »Hast du schon mal einen Ertrunkenen gesehen?« fragte William.
    »Schon viele«, sagte Severin. »Und wenn ich deine Frage richtig verstehe: Sie sehen anders aus, ihre Züge sind aufgedunsen.«
    »Dann war dieser Mann schon tot, als ihn jemand in den Bottich geworfen hat.«
    »Warum sollte das jemand getan haben?«
    »Warum sollte ihn jemand getötet haben? Wir stehen vor dem Werk eines kranken Hirns. Aber lass uns erst nachsehen, ob sich Verletzungen oder Prellungen oder dergleichen am Körper finden. Am besten, du lässt ihn jetzt gleich ins Badehaus bringen, entkleiden und waschen, und dann untersuchen wir ihn gründlich. Fang schon mal an, ich komme gleich nach.«
    Während Severin den Vorschlag befolgte und den Toten mit Erlaubnis des Abtes ins Badehaus bringen ließ, bat William den Abt, er möge nun alle Mönche zurück in die Kirche schicken, und zwar auf demselben Weg, den sie gekommen waren, desgleichen die Knechte und Diener, so dass niemand mehr auf dem Platz zurückbleibe. Der Abt befolgte den Wunsch, ohne sich nach dem Grund zu erkundigen, und so blieben William und ich allein bei dem Bottich. Viel Blut war herausgeschwappt während der makabren Operation der Leichenbergung, so dass der Schnee ringsum rot war. An mehreren Stellen war er auch aufgelöst durch das verspritzte Wasser, und wo der Leichnam gelegen hatte, war jetzt ein großer dunkler Fleck.
    »Schönes Durcheinander hier«, sagte William und schaute auf die kreuz und quer laufenden Spuren der Mönche und Knechte. »Schnee, lieber Adson, ist ein wunderbares Pergament, auf dem die Füße der Menschen deutlich lesbare Schriftzüge hinterlassen. Aber dies hier ist leider ein schlecht abgeschabtes Palimpsest, auf dem wir kaum etwas Interessantes entziffern werden. Von hier bis zur Kirche hat es ein großes Gerenne von Mönchen gegeben, und auf dem Weg von hier zu den Ställen sind Knechte in Scharen gelaufen. Die einzige Zone, die noch unberührt ist, ist die zwischen dem Schweinestall und dem Aedificium. Komm, lass uns sehen, ob wir dort etwas Interessantes finden.«
    »Aber was wollt Ihr denn finden?« fragte ich.
    »Wenn der arme Venantius sich nicht von selbst in den Bottich gestürzt hat, muss ihn jemand hergetragen haben, wahrscheinlich schon tot. Und wer den Körper eines anderen trägt, macht tiefe Spuren im Schnee. Also schau dich mal um, ob du hier irgendwo Spuren entdeckst, die anders aussehen als die Spuren all dieser schwatzhaften Mönche, die unser Pergament ruiniert haben.«
    Wir machten uns auf die Suche, und ich will gleich verraten, dass ich es war (Gott schütze mich vor der Eitelkeit!), der zwischen Bottich und Aedificium etwas entdeckte. Es waren Abdrücke menschlicher Füße in einem Teil des Hofes, den heute Morgen noch niemand betreten hatte;

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