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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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man es schluckt. Borax, gut für kranke Lungen. Betonica officinalis, auch Heilziest genannt, ein gutes Mittel bei Schädelbrüchen. Mastix: mildert das Lungenpfeifen und die lästigen Katarrhe. Und hier Myrrhen...«
    »Die der drei Weisen aus dem Morgenland?« fragte ich neugierig.
    »Ja, aber hier im Abendland ist sie gut gegen Fehlgeburten. Sie wächst auf einem Baum namens Balsamodendron myrrha. Und dies hier ist Mumia, etwas sehr Seltenes, man gewinnt es aus der Zersetzung mumifizierter Leichen, es dient zur Zubereitung vieler geradezu mirakulöser Medikamente. Und hier die Alraunwurzel, Mandragola officinalis, fördert den Schlaf...«
    »...und die fleischliche Lust«, warf William ein.
    »So sagt man, aber hier bei uns wird sie nicht zu diesem Zweck benutzt, wie ihr euch denken könnt«, sagte Severin lächelnd. »Und seht dies hier: Tutia, wunderbar für die Augen...«
    »Und was ist das?« fragte William lebhaft und zeigte auf einen Stein, der zwischen den Gläsern lag.
    »Das? Der ist mir vor langer Zeit geschenkt worden. Ein Stein, der verschiedene Heilkräfte haben soll, aber ich habe noch nicht herausgefunden, welche. Kennst du ihn?«
    »Ja«, sagte William, »aber nicht als Medizin.« Er zog ein kleines Messer aus seiner Kutte und führte es langsam an den Stein heran. Als das Messer, das seine Hände mit äußerster Vorsicht bewegten, kurz vor dem Stein angelangt war, tat die Klinge plötzlich einen Sprung, als hätte William mit der Hand gezuckt (er hatte sie aber ganz ruhig gehalten), und schlug an den Stein mit einem leichten metallischen Klick.
    »Siehst du«, sagte William zu mir, »er zieht Eisen an.«
    »Und wozu dient er?« fragte ich.
    »Zu verschiedenen Zwecken, ich werde dir später davon erzählen. Jetzt möchte ich erstmal von Severin wissen, ob hier etwas ist, was einen Menschen töten könnte.«
    Severin überlegte einen Moment lang, fast ein wenig zu lange für die klare Antwort, die er dann gab: »Vieles. Ich sagte doch: die Grenze zwischen Medikament und Gift ist fließend, die Griechen nannten beides pharmakon.«
    »Und ist dir in letzter Zeit irgendetwas abhandengekommen?«
    »Nein, in letzter Zeit nicht.«
    »Und früher?«
    »Wer weiß? Ich kann mich nicht erinnern. Ich bin seit dreißig Jahren in dieser Abtei und im Hospital seit fünfundzwanzig.«
    »Zu lange für ein menschliches Gedächtnis«, sagte William verständnisvoll. Dann, unvermittelt: »Wir sprachen gestern von Pflanzen, die Visionen hervorrufen. Welche sind das?«
    Severins Gesicht und sein ganzes Verhalten drückten den lebhaften Wunsch aus, dieses Thema umgehen zu können. »Darüber müsste ich erstmal nachdenken. Weißt du, ich habe hier so viele Wundersubstanzen... Sprechen wir lieber von Venantius. Was hältst du von der Sache?«
    »Darüber müsste ich erstmal nachdenken«, sagte William.

 
     
    Zweiter Tag
PRIMA
    Worin Benno von Uppsala einiges zu erzählen hat, anderes dann auch Berengar von Arundel, und Adson am Ende lernt, was wahre Buße ist.
     
    D er unselige Zwischenfall hatte den Tagesablauf der Abtei zutiefst erschüttert. Die Entdeckung der grausigen Leiche mit all dem Wirrwarr und Lärm in ihrem Gefolge war mitten ins heilige Morgengebet hineingeplatzt. So rasch wie möglich hatte daher der Abt die erregten Mönche in die Kirche zurückgeschickt, um für das Seelenheil ihres toten Mitbruders zu beten.
    Die Stimmen der Mönche klangen gebrochen. Wir setzten uns so, dass wir ihre Gesichter studieren konnten, wenn sie gemäß den Anforderungen der Liturgie ihre Kapuzen abstreiften. Als Erstes sahen wir das Gesicht Berengars. Bleich, verkniffen und glänzend vor Schweiß. Am Vortag hatten wir zwei Andeutungen über ihn gehört, aus denen hervorging, dass zwischen ihm und Adelmus offenbar ein besonderes Verhältnis bestanden hatte, und das Bemerkenswerte daran war nicht die Tatsache, dass die beiden Gleichaltrigen befreundet gewesen waren, sondern der anzügliche Ton, in dem die anderen von dieser Freundschaft sprachen.
    Neben ihm saß Malachias. Dunkel, die Augenbrauen finster zusammengezogen, undurchdringlich. An seiner Seite, ebenso undurchdringlich, der blinde Jorge. Auffällig erregt dagegen erschien uns Benno von Uppsala, der junge Rhetorikforscher, den wir ebenfalls im Skriptorium kennengelernt hatten. Gerade warf er Malachias einen hastigen Seitenblick zu.
    »Benno ist nervös, Berengar ist verstört«, raunte William mir zu. »Wir müssen sie beide gleich verhören.«
    »Warum?« fragte ich

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