Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
Vom Netzwerk:
vagen Anspielungen seiner Mitbrüder geworden, und zweitens sei Benno anscheinend daran interessiert, unser Augenmerk auf die Bibliothek zu lenken. Ich meinte, vielleicht sei er daran interessiert, dass wir dort oben etwas entdeckten, was er selber gern wissen möchte, worauf William sagte, das könne schon sein, aber es könne auch sein, dass er uns mit seinem Hinweis auf die Bibliothek von einem anderen Ort ablenken wollte. Welcher Ort das denn sein könnte, fragte ich, und William sagte, das wisse er nicht, vielleicht das Skriptorium, vielleicht die Küche, vielleicht auch der Chor, das Dormitorium oder das Hospital. Ich gab zu bedenken, dass William doch selber am Vortag so interessiert gewesen sei an der Bibliothek, worauf er knurrend zurückgab, er wolle an etwas interessiert sein, wenn es ihm passe, und nicht, wenn andere ihn darauf hinzustoßen versuchten. Aber natürlich müsse man die Bibliothek im Auge behalten, und jetzt, nach allem, was inzwischen geschehen ist, sei es vielleicht nicht schlecht, einmal zu sehen, ob man nicht irgendwie in sie eindringen könnte. Ja, die Umstände gäben uns nun wohl das Recht, unsere Neugier auszudehnen bis an die Grenzen der Höflichkeit und des Respekts vor den Bräuchen und Regeln dieser Abtei.
    Wir verließen den Kreuzgang. Novizen und Knechte strömten gerade aus dem Hauptportal der Kirche, wo eben die Messe zu Ende gegangen war. Als wir um die Nordwestecke des Gotteshauses bogen, sahen wir Berengar aus dem Querschiff kommen und über den Friedhof zum Aedificium gehen. William rief seinen Namen, der Angerufene blieb stehen, und wir holten ihn ein. Er war sichtlich noch tiefer erschüttert als vorhin im Chor, und so beschloss William, seinen Gemütszustand auszunutzen, wie er es soeben bei Benno getan.
    »Du warst anscheinend der letzte, der Adelmus lebend gesehen hat«, sagte er unvermittelt.
    Berengar schwankte, als werde er gleich in Ohnmacht fallen. »Ich?« hauchte er wie betäubt. William hatte die Frage aufs Geratewohl hingeworfen, vermutlich weil Benno gesagt hatte, er habe die beiden Freunde an jenem Abend im Kreuzgang miteinander tuscheln gesehen. Doch er hatte damit voll ins Schwarze getroffen: Berengar dachte offenkundig an eine andere, nun wirklich letzte Begegnung mit Adelmus, denn er begann stammelnd und mit gebrochener Stimme zu reden:
    »Wie könnt Ihr so etwas sagen! Ich sah ihn vor dem Schlafengehen wie alle anderen Brüder!«
    Es klang alles andere als überzeugend, und so beschloss William, es auf einen Versuch ankommen zu lassen: »Nein, du hast ihn danach noch einmal gesehen, und du weißt mehr, als du uns glauben machen willst! Aber inzwischen geht es um zwei Todesfälle, du kannst nicht mehr schweigen. Du weißt sehr gut, dass es vielerlei Mittel und Wege gibt, jemanden zum Reden zu bringen!«
    William hatte mir mehr als einmal gesagt, dass er die Folter stets abgelehnt habe, auch während seiner Tätigkeit als Inquisitor. Aber Berengar missverstand ihn (und sollte ihn wohl auch missverstehen), jedenfalls ging Williams Rechnung auf.
    »Ja, ja!« gestand Berengar aufschluchzend. »Ich habe Adelmus an jenem Abend gesehen, aber da war er schon tot!«
    »Wie das?« fragte William überrascht. »Unten am Steilhang?«
    »Nein, nein, auf dem Friedhof, er wandelte zwischen den Gräbern umher, als Larve unter den Larven! Ich sah sofort, dass ich keinen Lebenden vor mir hatte, sein Antlitz war das eines Toten, seine flackernden Augen schauten bereits die ewigen Höllenstrafen! Natürlich wusste ich erst am nächsten Morgen, als ich von seinem Tod erfuhr, dass ich ein Gespenst gesehen hatte, aber ich fühlte sogleich, dass ich vor einer Erscheinung stand, vor einem Verdammten, einem unseligen Geist... Oh Gott, mit welcher Grabesstimme er zu mir sprach!«
    »Und was sagte er?«
    »›Verdammt bin ich‹, sagte er. ›Du siehst mich als einen, der aus der Hölle kommt, und zur Hölle muss ich zurück.‹ So sprach er. Und ich schrie: ›Adelmus, kommst du wahrhaftig aus der Hölle? Sag mir, wie sind die Strafen der Hölle?‹ Und ich bebte, denn eben erst war ich im Spätgottesdienst gewesen und hatte dort schreckliche Worte über den Zorn des Herrn gehört. Und der Geist sprach zu mir: ›Die Strafen der Hölle sind schlimmer, unendlich viel schlimmer, als unsere Zunge zu sagen vermag. Sieh hier‹, sagte er, ›diesen leichten Mantel, mit dem ich bekleidet war bis heute. Er lastet auf mir und bedrückt mich, als hätt’ ich auf meinen Schultern den

Weitere Kostenlose Bücher