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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Bücher hatten. Ich weiß nicht, ob Adelmus wirklich all diese Dinge gesagt hat oder ob Berengar sie nur hörte, weil er sie hören wollte. Tatsache ist, dass diese Gespenstergeschichte viele meiner Vermutungen bestätigt. Zum Beispiel weiß ich nun: Adelmus hat sich selbst in den Tod gestürzt. Und Berengars Geschichte sagt uns, dass er kurz vor seinem Tod in großer Erregung herumlief, voller Gewissensbisse über etwas, das er getan hatte. Und dass er so tief erschrocken war über seine Missetat, lag daran, dass ihn jemand sehr gründlich erschreckt hatte. Ja, möglicherweise hatte ihm dieser Jemand genau die Höllengeschichte erzählt, die er dann mit so markerschütternden Worten unserem armen Berengar weitererzählte. Und über den Friedhof ging er, weil er gerade aus dem Chor kam, wo er sich jemandem anvertraut (oder jemandem gebeichtet) hatte. Jemandem, der ihm vermutlich einen höllischen Schrecken eingejagt und schlimmste Gewissensbisse gemacht hatte. Und vom Friedhof verschwand er, wie Berengar uns zu verstehen gab, in die dem Dormitorium entgegengesetzte Richtung. Also zum Aedificium – oder auch (ja, das wäre schon möglich) zur Umfassungsmauer hinter dem Schweinestall, das heißt zu der Stelle, wo er sich meiner Hypothese zufolge hinuntergestürzt haben muss. Und er hat sich in den Abgrund gestürzt, bevor der Sturm aufkam, das heißt: Er starb zu Füßen der Mauer im Müllhaufen, und erst danach hat der Erdrutsch seine Leiche hinunter ins Tal gerissen.«
    »Aber was ist mit dem brennenden Schweißtropfen?«
    »Der kam entweder bereits in der Geschichte vor, Adelmus gehört und dann weitererzählt hatte, oder Berengar hat ihn in seiner Erregung und seiner eigenen Gewissensqual hinzuerfunden. Denn als Antistrophe zu Adelmus’ schlechtem Gewissen gibt es, wie du gemerkt hast, ein schlechtes Gewissen Berengars. Möglich ist auch, dass Adelmus, wenn er aus dem Chor kam, eine Kerze trug, und vielleicht war der Tropfen auf der Hand seines Freundes nur ein Tropfen von heißem Wachs. Wirklich verbrannt fühlte Berengar sich wohl eher von etwas anderem, nämlich von der gewiss nicht erfundenen Anrede ›mein schöner Lehrer‹, die ihm zeigte, dass Adelmus ihm vorwarf, etwas von ihm gelernt zu haben, das ihn nun zur Verzweiflung trieb. Und Berengar leidet, weil er weiß, dass er Adelmus in den Tod getrieben hat, indem er ihn etwas tun ließ, was man nicht darf. Und nach allem, was wir über unseren Bibliothekarsgehilfen gehört haben, mein armer Adson, ist es nicht schwer zu raten, was das war.«
    »Ich glaube verstanden zu haben, was zwischen den beiden vorgefallen ist«, sagte ich, nicht ohne Scham über meine Weltklugheit. »Aber sagt mir, wir glauben doch alle an einen barmherzigen Gott, und Adelmus hatte doch sicher gebeichtet. Warum hat er sich dann für seine erste Sünde bestrafen wollen, indem er eine gewiss noch viel schlimmere oder jedenfalls ebenso schlimme Sünde beging?«
    »Weil ihn jemand zu Tode erschreckt hat, weil ihm jemand Dinge gesagt hat, die ihn zur Verzweiflung trieben. Ich erwähnte vorhin, dass die höllischen Worte, die Adelmus so große Angst gemacht hatten und mit denen er dann seinem Freund Berengar so große Angst machte, sehr stark an eine bestimmte Stelle in einem Predigerhandbuch unserer Tage erinnern. Und nie zuvor, lieber Adson, haben die Prediger so schauerliche, furchterregende und makabre Worte gebraucht wie heutzutage, um das Volk zu erschrecken und zur Frömmigkeit anzuhalten (und zum Glaubenseifer und zur Ehrfurcht vor den Gesetzen Gottes und der Menschen). Nie zuvor war in den Gesängen der Büßer so viel von den Schmerzen Christi und der Heiligen Jungfrau die Rede, denk nur an die Flagellantenprozessionen! Nie zuvor waren die Priester so sehr darauf aus, den Glauben der Laien durch die Beschwörung der Höllenqualen zu schüren!«
    »Vielleicht besteht ein Bedürfnis nach Buße«, sagte ich.
    »Adson, ich habe niemals zuvor so viele Aufrufe zur Buße gehört wie heute – in einer Zeit, da weder die Prediger noch die Bischöfe, ja nicht einmal meine spiritualen Mitbrüder wirklich imstande sind, wahre Buße zu tun!«
    »Aber«, rief ich bestürzt, »das Dritte Zeitalter, der Papa Angelicus, das Kapitel zu Perugia...«
    »Nostalgien, Illusionen! Die große Zeit der Bußfertigkeit ist vorbei, und deswegen kann heute auch das Generalkapitel des Ordens von Buße reden. Vor hundert oder zweihundert Jahren gab es eine große Erneuerungsbewegung. Das war, als jeder, der

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