Die historischen Romane
Lachens und kann schließlich doch nicht sehen, was er gern sehen möchte.
B evor wir ins Skriptorium hinaufgingen, setzten wir uns in die Küche, um uns ein wenig zu stärken, denn wir hatten den ganzen Morgen noch nichts zu uns genommen. Ein Becher warmer Milch belebte mich rasch. Der große Kamin am Südende der langen Halle brannte schon hell wie eine Esse, und im Ofen am anderen Ende wurde das Brot für den Tag gebacken. Zwei Hirten kamen gerade herein und brachten den Rumpf einer frisch geschlachteten Ziege. Unter den Küchendienern entdeckte ich Salvatore, der mir aus seinem wölfischen Mund ein schiefes Lächeln zuwarf. Dabei nahm er von einem Tisch die Reste des gebratenen Hähnchens, das am Abend zuvor dem Abt serviert worden war, und steckte sie heimlich einem der Hirten zu, der sie mit zufriedenem Grinsen in seinem ledernen Wams verbarg. Aeder Küchenmeister hatte es auch gesehen und tadelte nun Salvatore: »Cellerar, Cellerar«, sagte er, »du sollst die Klostergüter verwalten und nicht verschwenden!«
»Filii Dei sunt«, rechtfertigte sich Salvatore. »Und Jesu Christo hat gesagt, dass facite für ihn, was facite für einen von diese poveri!«
»Frechling von einem Fratizellen, Mistkerl von einem Minoriten!« fuhr ihn der Küchenmeister barsch an. »Du bist hier nicht mehr bei deinen Bettelbrüdern! Für milde Gaben an die Kinder Gottes sorgt hier der Abt in seiner Barmherzigkeit!«
Salvatore lief rot an und schrie sehr wütend zurück: »Bin kein Fratizell von Minoriten! No! Bin ein richtiger Mönch von Sancti Benedicti! Merde à toi, Scheißbogomile!«
»Selber Scheißbogomile!« tobte der Küchenmeister. »Und Bogomila die große Hure besorgt’s dir von hinten bei Nacht, du altes Schwein, du mit deiner Ketzerfresse!«
Salvatore sah bekümmert zu uns herüber und führte die Hirten rasch hinaus. »Bruder«, sagte er laut zu William, als er an unserem Tisch vorbeikam, »tu du verteidigen dein Orden, que no es il mio! Sag dem hier, dass Filios Sancti Francisci non ereticos esse!« Dann raunte er mir ins Ohr: »Menteur, ille! Pah!« und spuckte verächtlich aus.
Der Küchenmeister kam wütend angerannt, stieß Salvatore zur Tür hinaus und knallte sie donnernd zu. Dann drehte er sich zu William um und sagte in respektvollem Ton: »Bruder, glaubt mir, nicht Euren Orden und die heiligen Männer in seinen Reihen wollte ich schlechtmachen. Ich meinte nur diesen falschen Minoriten und falschen Benediktiner, der nicht Fisch und nicht Fleisch ist.«
»Ich weiß Bescheid über seine Herkunft«, sagte William versöhnlich. »Aber jetzt ist er ein Mönch wie du, und du schuldest ihm brüderlichen Respekt.«
»Ja schon, aber er steckt seine Nase dauernd in Sachen rein, die ihn nichts angehen, weil er unter dem Schutz des Cellerars steht, und er hält sich selber schon für den Cellerar. Er benutzt die Abtei, als ob sie ihm gehörte, bei Tag und bei Nacht.«
»Wieso bei Nacht?« fragte William, aber der Küchenmeister hob nur stumm die Hände zu einer Geste, die wohl besagen sollte, dass er von so schändlichen Dingen nicht sprechen wolle. William fragte denn auch nicht weiter und schlürfte friedlich seine Milch.
Meine Neugier wurde größer und größer. Die Begegnung mit Ubertin, die Andeutungen über die Vergangenheit Salvatores und des Cellerars, die immer häufigeren Anspielungen auf die Fratizellen und häretischen Minoriten, die ich in diesen Tagen gehört, schließlich Williams Zurückhaltung heute Morgen auf meine Frage nach Fra Dolcino – all das ging mir durch den Sinn und verband sich mit anderen Bildern zu einem verwirrenden Reigen. So wären wir auf unserer Reise mindestens zweimal einer Bußprozession von Flagellanten begegnet. Das eine Mal schienen die Leute im Ort sie fast als Heilige zu betrachten, das andere Mal murrten sie etwas von Ketzern. Dabei handelte es sich beide Male um dieselben Büßer. Sie zogen in Zweierreihen durch die Stadt, bekleidet nur mit einem knappen Lendenschurz, denn offenbar hatten sie jedes Gefühl der Scham verloren. Mit kurzen Lederpeitschen schlugen sie sich und einander die Rücken blutig, und dabei schrien sie, heulten laut und vergossen heiße Tränen, als ob sie mit eigenen Augen die Passion des Erlösers schauten, und flehten mit schrillen Klagegesängen um die Barmherzigkeit Gottes und die Fürbitte der Heiligen Jungfrau. Und nicht nur bei Tag, auch nachts in der eisigen Kälte zogen sie mit Kerzen in langer Prozession durch die Kirchen und
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