Die historischen Romane
tauschen sie Seide und Linnen und Spezereien und lassen sich gutes Geld dafür geben. Wir hüten hier oben unseren Schatz, aber drunten akkumulieren sie Güter und Reichtümer. Und Bücher. Schönere Bücher, als wir sie haben...«
»Gewiss tut sich in der Welt viel Neues. Aber warum meint Ihr, dass der Abt daran schuld sei?«
»Weil er die Bibliothek in die Hände von Ausländern gelegt hat, und weil er die Abtei führt, als wäre sie eine Zitadelle zur Verteidigung der Bibliothek. Eine Benediktinerabtei in dieser Gegend Italiens müsste ein Ort sein, worin Italiener über italienische Dinge entscheiden. Was tun die Italiener draußen im Lande, heute, da sie nicht mal mehr einen Papst haben? Sie treiben Handel, sie stellen Waren her, sie sind reicher als der König von Frankreich. Also tun wir es ihnen gleich! Wenn wir schöne Bücher herstellen können, nun gut, so bieten wir unsere Dienste den Universitäten an! Und kümmern wir uns um das, was drunten im Tal geschieht! Ich denke dabei gar nicht an den Kaiser (mit allem Respekt vor Eurer Mission, Bruder William), ich denke an das, was die Bologneser oder die Florentiner tun. Wir könnten von hier aus sehr gut den Passweg der Pilger und Kaufleute kontrollieren, die von Italien übers Gebirge in die Provence ziehen und umgekehrt. Und öffnen wir unsere Bibliothek den Texten in der Sprache des Volkes, dann werden bald auch jene zu uns heraufkommen, die heute nicht mehr lateinisch schreiben... Aber statt dessen werden wir von einer Handvoll verkalkter Ausländer kontrolliert, die unsere Bibliothek noch immer so führen, als wäre der gute alte Odillon immer noch Abt von Cluny...«
»Aber Euer Abt ist doch Italiener«, sagte William.
»Der Abt hat hier nichts zu sagen«, antwortete Aymarus verächtlich mit seinem steten spöttischen Grinsen. »Wo er einen Kopf haben sollte, hat er einen alten Bücherschrank. Einen wurmstichigen. Um den Papst zu ärgern, lässt er es zu, dass die Abtei von Fratizellen überschwemmt wird (ich spreche von den häretischen, Bruder, von den Überläufern aus Eurem heiligen Orden...). Und um dem Kaiser zu gefallen, ruft er Mönche aus allen Klöstern Nordeuropas hierher, als hätten wir in Italien nicht genügend tüchtige Schreiber und Gelehrte, die des Griechischen und des Arabischen mächtig sind, als gäbe es in Florenz oder Pisa nicht genug Söhne reicher und großzügiger Kaufleute, die gern in unseren Orden eintreten würden, wenn er ihnen die Möglichkeit böte, dadurch die Macht und das Ansehen ihrer Väter zu mehren! Aber Nachsicht gegenüber den säkularen Interessen wird hier nur geübt, wenn es darum geht, den Deutschen zu erlauben, die... Oh gütiger Herr, verschließ mir den Mund, ich sage sonst Dinge, die sich nicht ziemen!«
»Geschehen in dieser Abtei unziemliche Dinge?« fragte William zerstreut, während er sich noch ein wenig Milch eingoss.
»Auch Mönche sind Menschen«, sagte Aymarus sentenziös. Dann fügte er hinzu: »Aber hier sind sie es weniger als woanders. Und was ich Euch gesagt habe, habe ich selbstverständlich niemals gesagt.«
»Sehr interessant«, kommentierte William. »Und sind das nur Eure Ansichten, Bruder Aymarus, oder denken hier viele so?«
»Viele. Viele von denen, die jetzt das Unglück des armen Adelmus beklagen – aber wenn jemand anders in den Abgrund gestürzt wäre, jemand, der sich mehr in der Bibliothek zu schaffen macht, als er sollte, wären sie nicht so betrübt...«
»Was wollt Ihr damit sagen?«
»Ich habe schon zu viel gesagt. Wir reden hier alle zu viel, das habt Ihr gewiss schon bemerkt. Niemand respektiert mehr das Schweigegebot – auf der einen Seite. Auf der anderen wird es zu sehr respektiert. Statt zu reden oder zu schweigen müsste hier endlich einmal gehandelt werden. In den goldenen Zeiten unseres Ordens genügte ein schöner Becher vergifteten Weines, wenn der Abt nicht die nötigen Qualitäten besaß, und schon war die Nachfolgefrage offen... Ihr versteht mich doch hoffentlich recht, Bruder William, ich habe das alles nicht etwa gesagt, um gegen den Abt oder andere Mitbrüder zu intrigieren! Gott behüte, ich bin glücklicherweise völlig unfähig, irgendwelche Intrigen zu spinnen. Aber ich fände es schlimm, wenn der Abt Euch etwa gebeten hätte, über mich oder Mitbrüder wie zum Beispiel Pacifico von Tivoli oder Pietro von Sant’Albano Nachforschungen anzustellen. Wir Italiener haben mit diesen Geschichten um die Bibliothek nichts zu tun. Allerdings würden
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