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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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einem vom Wohlstand paralysierten Abendländer die Fähigkeit zur Erwartung wiederzugeben, müssen diese hier zahlen, vielleicht auch leiden, aber sie kennen noch die Sprache der Naturgeister, der Lüfte, der Wasser, der Winde ... «
    »Ihr beutet uns ein weiteres Mal aus.«
    »Ein weiteres Mal?«
    »Ja, das müssten Sie doch 1789 gelernt haben, Herr Graf. Wenn wir es satt haben – zack!« Und lächelnd wie ein Engel fuhr sie sich mit der Kante ihrer gestreckten, wunderschönen Hand quer über die Kehle. Von Amparo begehrte ich sogar die Zähne.
    »Wie dramatisch«, sagte Agliè, während er seine Tabatiere aus der Tasche zog und sie liebevoll zwischen den Händen drehte. »So haben Sie mich also erkannt? Aber 1789 waren es nicht die Sklaven, die Köpfe rollen ließen, sondern die braven Bürger, die Sie doch verabscheuen müssten. Und außerdem, Köpfe hat der Graf von Saint-Germain in all den Jahrhunderten viele rollen sehen – und viele auch wieder auf den Hals zurückkehren ... Aber schauen Sie, da kommt die Mãe-de-santo, die Ialorixá.«
    Die Äbtissin des Terreiro begrüßte uns ruhig, herzlich, einfach und kultiviert. Sie war eine große Negerin mit strahlendem Lächeln. Auf den ersten Blick hätte man sie für eine Hausfrau gehalten, aber als wir miteinander zu sprechen begannen, verstand ich, warum Frauen dieser Art das kulturelle Leben von Salvador dominieren konnten.
    »Diese Orixás, sind das eigentlich Personen oder Kräfte?« fragte ich sie. Die Mãe-de-santo antwortete, es seien Kräfte, gewiss, Naturkräfte, Wasser, Wind, Laub, Regenbogen. Doch wie solle man die einfachen Leute daran hindern, sie als Krieger, Frauen, Heilige der katholischen Kirche zu sehen? Verehrt nicht auch ihr Europäer, sagte sie, eine kosmische Kraft unter der Form so mancher Jungfrau? Wichtig sei nur, die Kraft zu verehren, das Äußere müsse sich den Verständnismöglichkeiten eines jeden anpassen.
    Sie lud uns ein, in den hinteren Garten hinauszutreten, um die Kapellen zu besichtigen, ehe der Ritus begann. Die Kapellen waren die Häuser der Orixás. Ein Schwarm junger Mädchen, Schwarze in bahianischer Tracht, traf fröhlich lachend die letzten Vorbereitungen.
    Die Häuser der Orixás verteilten sich im Garten wie bei uns die Kapellen auf einem Sacro Monte, und sie trugen außen das Bildnis des jeweils mit ihrem Bewohner gleichgesetzten Heiligen. Innen prangten die leuchtenden Farben der Blumen, der Statuetten und der frisch zubereiteten Speisen, die den Göttern dargebracht wurden. Weiß für Oxalá, blau und rosa für Yemanjá, rot und weiß für Xangõ, goldgelb für Ogun ... Die Initiierten knieten nieder, küssten die Schwelle und fassten sich mit der Hand an die Stirn und hinter das rechte Ohr.
    »Aber wie ist das nun zu verstehen«, fragte ich, »diese Yemanjá, ist sie nun oder ist sie nicht Nossa Senhora da Conceição , Unsere Liebe Frau von der Empfängnis? Und Xangõ, ist er nun Sankt Hieronymus oder nicht?«
    »Stellen Sie nicht so peinliche Fragen«, riet mir Agliè. »Im Umbanda ist es noch komplizierter. Zur Linie von Oxalá, der hier mit Jesus Christus gleichgesetzt wird, besonders mit Nosso Senhor de Bomfim , gehören Sankt Antonius und die Heiligen Kosmas und Damian: Zur Linie von Yemanjá gehören Sirenen, Undinen, Caboclas des Meeres und der Flüsse, Seefahrer und Leitsterne. Zur Linie des Orients gehören Hindus, Ärzte, Physiker, Araber und Marokkaner, Japaner, Chinesen, Mongolen, Ägypter, Azteken, Inkas, Kariben und Römer. Zur Linie von Oxossi gehören die Sonne, der Mond, der Caboclo der Wasserfälle und der Caboclo der Schwarzen. Zur Linie von Ogun gehören Ogun Beira-Mar, Rompe-Mato, Iara, Megé, Narueé ... Also kurz: je nachdem.«
    »Cristo!« schnaubte Amparo erneut.
    »Man sagt Oxalá«, murmelte ich ihr ins Ohr. »Bleib ruhig, no pasarán .«
    Die Ialorixá zeigte uns eine Anzahl Masken, die einige Mädchen in den Tempel trugen. Es waren große Kapuzenkostüme aus Stroh, mit denen die Tanzenden sich verhüllen sollten, wenn sie, von der Gottheit besucht, in Trance fielen. Das sei eine Form der Scham, erklärte uns die Ialorixá, in manchen Terreiros tanzten die Auserwählten mit unverhülltem Gesicht, um den Anwesenden ihre Passion vorzuführen. Doch der Initiierte müsse geschützt, respektiert, bewahrt werden vor der Neugier des Profanen oder jedenfalls dessen, der seinen inneren Jubel und seine Anmut nicht verstehen könne. So sei es Brauch in diesem Terreiro, sagte sie, und deshalb

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