Die historischen Romane
– ein teures Datum für jeden, der sich, wie ich, der Tradition des Tempelrittertums verpflichtet weiß –, was tue ich dann? Ich multipliziere mit 146, dem Schicksalsdatum der Zerstörung Karthagos. Wie bin ich zu dem Ergebnis gekommen? Ganz einfach, ich habe 1314 durch zwei, durch drei und so weiter geteilt, bis ich auf ein befriedigendes Datum gestoßen bin. Ich hätte auch 1314 durch 6,28 teilen können, das Doppelte von 3,14, und wäre auf 209 gekommen. Und was ist 209? Das Jahr der entscheidenden Wende des Zweiten Punischen Krieges. Zufrieden?«
»Demnach glauben Sie an keinerlei Zahlenkunde?« fragte Diotallevi enttäuscht.
»Ich? Ich glaube fest daran, ich glaube, dass das Universum ein wunderbares Konzert von Zahlenkorrespondenzen ist und dass die Lektüre der Zahl und ihre symbolische Deutung ein privilegierter Weg zur Erkenntnis sind. Doch wenn die Welt, die untere und die obere, ein System von Entsprechungen ist, in dem tout se tient , so ist es nur natürlich, dass der Kiosk und die Pyramide, die beide von Menschen erbaut sind, in ihrer Struktur unbewusst die Harmonien des Kosmos reproduzieren. Diese sogenannten Pyramidologen entdecken mit unglaublich komplizierten Mitteln eine ganz einfache Wahrheit, die sehr viel älter und seit Langem bekannt ist. Das Perverse ist die Logik der Forschung und der Entdeckung, denn sie ist die Logik der Wissenschaft. Die Logik der Weisheit hat keine Entdeckungen nötig, da sie schon weiß. Wozu beweisen, was gar nicht anders sein könnte? Wenn es ein Geheimnis gibt, liegt es sehr viel tiefer. Diese Ihre Autoren bleiben immer nur an der Oberfläche. Vermutlich tischt uns der hier auch all die Kindereien über die Ägypter und die Elektrizität auf…«
»Ich frage Sie nicht mehr, wie Sie das erraten konnten.«
»Sehen Sie? Diese Leute begnügen sich mit der Elektrizität, wie irgendein Ingenieur Marconi. Weniger kindisch wäre die Hypothese der Radioaktivität. Eine interessante Annahme, die im Gegensatz zur Elektrizitätshypothese auch den vielbeschrienen Fluch des Tutanchamun erklären würde. Wie haben die Ägypter es angestellt, die schweren Steine der Pyramiden zu heben? Kann man Steine mit Stromstößen heben, bringt man sie durch Kernspaltung zum Fliegen? Die Ägypter hatten das Mittel gefunden, die Schwerkraft aufzuheben, sie besaßen das Geheimnis der Levitation. Eine andere Form von Energie… Man weiß, dass die chaldäischen Priester imstande waren, heilige Maschinen durch bloße Töne in Gang zu setzen, und dass die Priester von Karnak und Theben die Pforten eines Tempels durch den Klang ihrer Stimme aufspringen lassen konnten – und worauf sonst wohl bezieht sich, überlegen Sie einmal, die Sage vom Sesam-öffne-dich?«
»Und weiter?« fragte Belbo.
»Da liegt der Hund begraben, mein Freund. Elektrizität, Radioaktivität, Atomenergie – der wahre Initiierte weiß: das alles sind nur Metaphern, oberflächliche Hüllen, konventionelle Lügen, bestenfalls klägliche Surrogate einer viel älteren und vergessenen Kraft, die der Initiierte sucht und die er eines Tages auch finden wird. Wir müssten vielleicht…« – er zögerte einen Moment – »von den tellurischen Strömen sprechen.«
»Wovon?« fragte, ich weiß nicht mehr, wer von uns dreien.
Agliè schien enttäuscht. »Sehen Sie? Schon hoffte ich, dass unter Ihren Kunden jemand aufgetaucht wäre, der mir etwas Interessanteres sagen könnte. Nun, es ist spät geworden. Also gut, meine Freunde, der Pakt ist geschlossen, das Übrige waren Abschweifungen eines alten Gelehrten.«
Während er uns die Hand reichte, kam der Diener herein und flüsterte ihm etwas ins Ohr. »Oh, die liebe Freundin!« rief Agliè. »Das hatte ich ganz vergessen! Sie soll einen Augenblick warten…, nein, nicht im Salon, im türkischen Zimmer.«
Aber die liebe Freundin musste mit dem Hause gut vertraut sein, denn sie erschien bereits in der Tür und ging sicheren Schrittes, ohne uns im Dämmerlicht des erlöschenden Tages zu sehen, direkt zu Agliè, streichelte ihm neckisch die Wange und sagte: »Simon, du wirst mich doch nicht im Vorzimmer warten lassen!« Es war Lorenza Pellegrini.
Agliè wich einen Schritt zurück, küsste ihr die Hand und sagte, auf uns deutend: »Meine liebe, meine zarte Sophia, Sie wissen, dass Sie in jedem Hause, das Sie erleuchten, zu Hause sind. Aber ich war gerade dabei, diese meine Gäste zu verabschieden.«
Lorenza bemerkte uns und winkte fröhlich – ich kann mich nicht erinnern,
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