Die historischen Romane
durch ihre grobe Machart so frappiert hatten: die Pailletten, die Waage, ein Schild und einige kupferne Schalen. Wir fanden uns eingetaucht in eine wässrige, wellig flutende Atmosphäre, in der die Bilder sich vervielfachten, sich brachen und mit den Silhouetten der Anwesenden verschmolzen, der Boden reflektierte die Decke, die Decke den Boden und beide zusammen die Figuren, die an den Wänden erschienen. Zugleich mit der Musik verbreiteten sich zarte Gerüche durch den Raum, erst indische Weihrauchdüfte, dann andere, unbestimmtere, bisweilen auch unangenehme.
Zuerst ging das Dämmerlicht in tiefste Finsternis über, dann, während ein dumpfes Grollen ertönte, ein schmatzendes Blubbern wie von kochender Lava, waren wir in einem Krater, wo eine zähflüssige dunkle Masse Blasen trieb im zuckenden Lichtschein gelber und bläulicher Flammen.
Ein dickes klebriges Wasser verdampfte nach oben, um als Tau oder Regen wieder herabzusinken, und ein Modergeruch von fauliger Erde stieg auf. Ich atmete Grabesluft, roch den Tartaros, den Abgrund der Finsternis, mich umströmte eine giftige Jauche, die gurgelnd dahinschoss zwischen Landzungen aus Dung, Kot, Kompost, Kohlenstaub, Blei, Borke, Abschaum, Menstruum, Rauch, Schlamm, Schlacke, Teer, schwärzer als das schwärzeste Schwarz, das nun heller wurde, um zwei Reptilien erscheinen zu lassen, welche – das eine bläulich, das andere rötlich – sich zu einer Art von Kopulation vereinten, bei der sie einander in den Schwanz bissen, so dass sie eine einzige Kreisfigur bildeten.
Es war, als hätte ich zu viel Alkohol getrunken, ich sah meine Gefährten nicht mehr, sie waren im Dämmerdunkel verschwunden, ich erkannte die Gestalten nicht, die sich neben mir regten, und empfand sie wie aufgelöste, fließende Schemen ... Da fühlte ich plötzlich, wie jemand mich an der Hand ergriff. Jetzt weiß ich, dass es nicht stimmte, doch damals wagte ich nicht, mich umzudrehen, um nicht zu entdecken, dass es eine Täuschung war. Aber ich roch das Parfüm von Lorenza, und erst in diesem Moment begriff ich, wie sehr ich sie begehrte. Es musste Lorenza sein. Sie war zurückgekommen, um jenen Dialog aus leisem Scharren und Nägelkratzen an meiner Tür wiederaufzunehmen, den sie in der Nacht zuvor nicht beendet hatte. Schwefel und Quecksilber schienen sich zu einer feuchten Wärme zu verbinden, die mir die Lenden erbeben ließ, aber sanft, ohne Ungestüm.
Ich erwartete den Rebis, den androgynen Knaben, das Salz der Weisen, die Krönung des Weißen Werkes.
Mir war, als wüsste ich alles. Vielleicht kamen mir Dinge in den Sinn, die ich in den letzten Monaten gelesen hatte, vielleicht übertrug mir Lorenza ihr Wissen durch die Berührung ihrer Hand, die sich ein wenig feucht anfühlte.
Und ich ertappte mich dabei, obskure Namen zu murmeln, Namen, die einst, ich wusste es, die Alchimisten dem Weißen gegeben hatten, aber mit denen ich nun zitternd – vielleicht – Lorenza rief – oder die ich vielleicht auch nur vor mich hin murmelte wie eine Versöhnungslitanei: Agnus immaculatus, Abendstern, Aibathest, Alborach, Aqua benedicta, Mercurium purificatum, Auripigment, Azoch, Baurach, Cambar, Caspa, Cerussa, Cera, Clair de lune, Comerisson, Elektrum, Euphrat, Eva, Fada, Favonius, Fundamentum Artis, Diamant, Narziss, Lilie, Hermaphrodit, Hae, Hyle, Hypostase, Jungfrauenmilch, Lapis Unica, Lebendiges Öl, Legumen, Mutter, Ei, Phlegma, Punkt, Radix, Wurzelsaft, Salz der Erde, Terra foliata, Tevos, Tincar, Vapor, Ventus, Virago, Vitrum Pharaonis, Zephyr, Zibach, Ziva, Geier, Kinderurin, Plazenta, Menstruum, Servus fugitivus, Manus sinistra, Sperma Metallorum, Spiritus, Sulfur unctuosum ...
In der Pechschwärze, die nun grau wurde, zeichnete sich ein Horizont aus Felsen und verdorrten Bäumen ab, hinter dem eine schwarze Sonne versank. Dann zuckte jäh ein fast blendendes Licht, und gleißende Bilder erschienen, die einander in allen Richtungen reflektierten, so dass ein Kaleidoskop-Effekt entstand. Die Ausdünstungen waren jetzt liturgisch, kirchlich, und mir begann der Kopf zu dröhnen, ich spürte etwas Schweres auf meine Stirne drücken, ich sah einen prächtigen Saal, mit goldgewirkten Wandteppichen geschmückt, vielleicht ein Hochzeitsbankett, mit einem prinzlichen Bräutigam und einer weißgekleideten Braut, sodann einen alten König und eine Königin auf dem Thron nebst einem Krieger und einem weiteren König, der dunkelhäutig war. Vor dem alten Königspaar stand ein kleiner Altar,
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