Die historischen Romane
dass Lorenza nicht mitgekommen ist, sie hätte sich amüsiert.«
»Ja, sicher«, antwortete er abwesend.
Lorenza war nicht gekommen. Und mir ging es wie Amparo in Rio. Mir war elend zumute. Ich fühlte mich wie überrumpelt. Und man hatte mir kein Agogõ gegeben.
Ich verließ die Gruppe, ging wieder ins Haus und drängte mich durch die Menge, kam ans Buffet, nahm mir etwas zu trinken und fürchtete, es könnte ein Zaubertrank sein. Ich suchte eine Toilette, um mir die Stirn und den Nacken zu kühlen, fand eine und fühlte mich besser. Doch als ich hinaustrat, erblickte ich eine Wendeltreppe und konnte der Versuchung des neuen Abenteuers nicht widerstehen. Vielleicht, obwohl ich glaubte, mich wieder erholt zu haben, suchte ich immer noch nach Lorenza.
60
Armer Tor! Bist du so einfältig zu glauben, wir
würden dich offen das größte und wichtigste aller
Geheimnisse lehren? Ich versichere dir, wer im
gewöhnlichen Buchstabensinn der Worte erklären
will, was die Hermetischen Philosophen schreiben,
wird sich in den Mäandern eines Labyrinthes finden,
aus dem er nicht zu entkommen vermag, und
wird keinen Faden der Ariadne haben, der ihn hinausführt.
Artephius
Ich gelangte in einen unterirdischen Saal, spärlich erleuchtet, mit Wänden in Rocaille wie die Brunnen im Park. In einer Ecke entdeckte ich eine Öffnung, ähnlich dem Trichter eines gemauerten Schachts, und schon von weitem hörte ich Geräusche daraus hervorkommen. Ich trat näher, und die Geräusche wurden klarer unterscheidbar, bis ich einzelne Sätze verstand, deutlich artikuliert, als würden sie neben mir gesprochen. Ein Horchrohr, ein Ohr des Dionysios!
Das Rohr führte offensichtlich zu einem der oberen Säle, und so hörte ich die Reden derer, die an seiner Mündung vorbeikamen.
»Gnädige Frau, ich will Ihnen sagen, was ich noch niemandem gesagt habe. Ich bin müde ... Ich habe mit Zinnober und mit Quecksilber experimentiert, ich habe alle Arten von Spiritus sublimiert, Fermente, Eisen- und Stahlsalze und ihre Schlacken, und ich habe den Stein nicht gefunden. Dann habe ich Scheidewasser bereitet, ätzende Wasser, brennende Wasser, aber das Ergebnis war immer dasselbe. Ich habe Eierschalen, Schwefel, Vitriol und Arsen benutzt, Salmiak, Glassalz, Alkalisalz, Kochsalz, Steinsalz, Salpeter, Natronsalz, Attincarsalz, Weinsteinsalz, Alembrotsalz, aber glauben Sie mir, hüten Sie sich vor all diesen Stoffen. Meiden Sie die unvollkommenen Rotmetalle, sonst werden Sie so getäuscht, wie ich getäuscht worden bin. Ich habe alles probiert: das Blut, die Haare, die Seele Saturns, die Markasiten, das Aes ustum, den Mars-Safran, die Späne und Schlacken des Eisens, das Bleioxyd, das Antimon – nichts. Ich habe mit allen Mitteln versucht, das Öl und das Wasser aus dem Silber zu kriegen, ich habe das Silber mit präpariertem Salz und ohne Salz kalziniert, auch mit Aquavit, und habe nur ätzende Öle gewonnen. Ich habe Milch, Wein und Lab verwendet, das Sperma der Sterne, das auf die Erde fällt, das Schellkraut, die Plazenta und eine Unzahl anderer Dinge, ich habe das Quecksilber mit den Metallen vermischt und sie zu Kristallen reduziert, ich habe sogar in der Asche gesucht ... Schließlich ... «
»Schließlich?«
»Nichts auf dieser Welt erfordert mehr Vorsicht als die Wahrheit. Sie zu sagen ist, wie wenn man sich einen Aderlass am Herzen macht ... «
»Genug, genug, Sie erregen mich ... «
»Nur Ihnen wage ich mein Geheimnis anzuvertrauen. Ich bin aus keiner Epoche und keinem Ort. Außerhalb der Zeit und des Raumes lebe ich meine ewige Existenz. Es gibt Menschen, die keine Schutzengel mehr haben: ich bin einer von ihnen ... «
»Aber warum haben Sie mich hierhergeführt?«
Eine andere Stimme mischte sich ein: »Lieber Balsamo, spielen wir immer noch mit dem Unsterblichkeitsmythos?«
»Dummkopf! Die Unsterblichkeit ist kein Mythos. Sie ist eine Tatsache.«
Ich wollte gerade weitergehen, gelangweilt von dem Geschwätz, da hörte ich den Signor Salon. Er redete leise und aufgeregt, als hielt er jemanden am Arm zurück. Ich erkannte die Stimme von Pierre.
»Also hören Sie«, sagte Salon, »Sie werden mir doch nicht weismachen wollen, auch Sie wären hier wegen dieser alchimistischen Posse. Und sagen Sie nicht, Sie wären hergekommen, um frische Luft im Garten zu schnappen. Wissen Sie, dass Salomon de Caus, nachdem er in Heidelberg war, eine Einladung des Königs von Frankreich angenommen hatte, um sich mit der
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