Die Hitze der Hölle
Craon sprang auf. »Setzt Euch!« fauchte ihn de Molay an. »Und das ist das letztemal, daß Ihr Sir Hugh unterbrecht, Sir!«
»Aber Philipps Träume ließen sich nicht verwirklichen«, nahm Corbett in sachlichem Ton den Faden wieder auf, »also hatte er einen neuen Traum. Was er mit roher Gewalt nicht bekommen konnte, wollte er heimlich an sich bringen. Seine Tochter wird den einzigen Sohn unseres Königs heiraten. Philipp weiß also, daß eines Tages sein Enkel den englischen Thron besteigen wird. Philipp muß dafür bezahlen, muß eine riesige Mitgift aufbringen, aber seine Goldtruhen sind wie die von Edward von England leer. Und so schaut er sich um, und sein Blick fällt auf den mächtigen Templerorden mit seinen Herrenhäusern, Gütern, seinem Vieh und seinen Schätzen. Er widmet sich diesem Orden sehr eingehend und weiß auch, daß dieser seinen Idealismus weitgehend eingebüßt hat. Man spricht hinter vorgehaltener Hand von Skandalen, von Päderastie und Trunksucht.« Corbett schaute die Tafel entlang und bemerkte, daß Symmes’ narbiges Gesicht rot anlief. »Es gibt geheime Rituale, die Rede ist von Verschwörung und Intrige. Und der verschlagene Philipp ersinnt einen raffinierten Plan...«
De Craon wollte sich erheben, aber de Molay streckte die Hand aus und drückte ihn auf seinen Stuhl zurück.
»Der Templerorden«, fuhr Corbett fort, »läßt eine Menge zu wünschen übrig. Er ist zum Teil von innen verfault, wird aber vom Heiligen Vater in Avignon beschützt. Jeder, der sich gegen die Templer stellt, stellt sich gegen das Papsttum, und das kann sich Philipp natürlich nicht leisten. Er wartet ab und wählt seinen Mann — einen Templer, der in seinem Orden die Judasrolle spielen und diesen durch einen Kuß verraten wird.«
Die Templer rutschten unruhig auf ihren Stühlen hin und her. Corbett fragte sich, wer von ihnen sich schon einmal überlegt haben mochte, denselben Pfad zu beschreiten wie der Mörder. Nur de Molay saß ruhig da, die Hände vor den Mund gelegt, und sah Corbett mit dem Ausdruck eines gehetzten Wildes an.
»Ein neuer Großmeister wird gewählt.« Corbett beugte sich über die Tafel. »Er hält ein Großkapitel in Paris ab. Er will dem Orden zu einer neuen Blüte verhelfen und erklärt seine Absicht, sämtliche Ordensprovinzen zu besuchen. England steht als erstes auf der Liste. Er verläßt Paris, geht in Dover an Land und reist nach London. In dieser Zeit kommt es zum ersten Skandal. Ein einfältiger Templer-Sergeant wird unter dem Verdacht festgenommen, einen Mordanschlag auf Philipp von Frankreich verübt zu haben. Ein verderbter Mensch, der sich vermutlich etwas mit Schwarzer Magie beschäftigte. Dieser Templer wird der Inquisition überantwortet. Ich vermute«, Corbett lächelte schwach, »daß auch ich schwören würde, daß schwarz weiß ist und weiß schwarz, wenn man mich der perfiden Grausamkeit der Inquisition ausliefern würde. Gott möge mir das vergeben, aber ich wäre sogar in der Lage, meinen Glauben zu leugnen und meine Familie zu verraten, auch wenn ich mich anschließend als Feigling verfluchen würde. Diesem Sergeant fiel das alles leichter. Er war verbittert und voller Haß und antwortete dem Inquisitor nur allzu bereitwillig, um so sich selbst und den Orden, dem er einmal gedient hatte, ins Verderben zu stürzen.«
Branquier beugte sich vor. »Wollt Ihr damit sagen, daß der Sergeant gar nicht der Angreifer gewesen war?«
»Allerdings«, antwortete Corbett. »Man hat ihn angelogen. Philipp wurde weder im Bois de Boulogne noch auf der Grande Ponte angegriffen. Das sollten wir nur glauben. Es gibt weder einen Sagittarius«, fuhr Corbett fort, »noch Geheimbünde und Intrigen bei den Templern, nur eine gelinde Unzufriedenheit, die sich ein bestimmter Judas zunutze machte.« Er schaute de Craon an, der seinem Schreiber die Feder aus der Hand riß. »In England«, setzte Corbett seine Rede fort, »begann dann die eigentliche Intrige. König Edward hatte in Outremer gekämpft. Die Assassinen hatten einen Mordanschlag auf ihn verübt. Solche Erinnerungen lassen sich nicht abschütteln, und Edward war entsetzt, als die Drohung der Assassinen an das Portal der St. Pauls Kathedrale geheftet wurde. Ihm gefror das Blut in den Adern. Er kam nach York, um eine große Ratssitzung abzuhalten. Dort traf er auch den ehrenwerten Gesandten de Craon, um die Bedingungen der Eheschließung zu besprechen. Unser König ist ebenfalls bankrott, also bemühte er sich um eine Anleihe
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