Die Hoehle der Traenen
zueilte, gefolgt von Faina. Das bedeutete, dass ihm keine Zeit mehr zum Überlegen blieb, denn Sorn würde alles tun, würde sich selbst unter das Messer werfen, um diese Unschuldige zu retten, und das durfte er nicht zulassen.
»Mein Lord!«, sagte er, trat vor und legte Thegan die Hand auf den Arm. »Nein, mein Lord!«
»Ergreift ihn und legt ihn in Ketten«, befahl Thegan Hodge in aller Ruhe, so als wäre Leof lediglich ein gewöhnlicher Straftäter, der zur Rechtssprechung vor den Kriegsherrn gebracht worden war. Seine blauen Augen blickten eiskalt. Es war, als bedeuteten Thegan Leofs jahrelange Loyalität und
Kameradschaft gar nichts, hätten ihm nie etwas bedeutet. Er war ein Werkzeug gewesen wie alle anderen auch.
»Er gehört nicht mehr zu meinen Offizieren«, verkündete Thegan. »Schneidet ihm das Haar ab.«
Leof griff nach dem Messer an der Kehle des Mädchens, bemüht, es Thegans Hand zu entwinden, doch Wil, Gard und Hodge waren bereits auf ihn losgegangen und zerrten ihn weg, packten ihn an Händen und Füßen und hoben ihn gewaltsam an. Leof trat und versuchte, sich ihrer Umklammerung zu entziehen, doch drei gegen einen war zu viel.
Während sie ihn zurückzerrten, hörte er, wie das Mädchen flehte, und sah, wie Alston mit bleichem Gesicht einen Schritt auf Thegan zutrat.
»Hast du geglaubt, ich würde es nicht tun?«, rief Thegan dem Zauberer zu. Das Mädchen schrie auf, und ihr Schrei riss ab, als das Messer durch ihre Luftröhre schnitt, ein Geräusch, das sie alle nur zu gut vom Schlachtfeld kannten. Es war zu spät.
Leof hörte auf, sich zu wehren. Sie ließen in wieder herunter, und er stand zitternd da, gefangen zwischen Wil und Gard, die ebenfalls zitterten. Wil, auf dessen Miene sich Entschuldigung und Entschlossenheit mischten, zog sein Gürtelmesser und schnitt Leofs Pferdeschwanz ab. Dann warf er das helle Haar auf den Boden, wo der Wind ein paar Locken in die Luft wehte und herumwirbelte. Leof sah zu, auf seltsame Weise gelassen. Dort liegt mein altes Leben, dachte er. Vielleicht würden Vögel es dazu verwenden, ihre Nester auszupolstern.
Sorn beeilte sich nicht länger. Sie stand in der Mitte des Hofs, während Faina ihren Arm umklammert hielt, Tränen auf den Wangen. Sie starrte Leof an, holte tief Luft und fuhr mit den Händen über das Gesicht, wie um ihre Gefühle wegzuwischen.
»Wir müssen Euch in Ketten legen«, sagte Wil. Leof nickte, woraufhin sie auf den Schandpfahl neben der Scheune zustapften, vorbei an den Wanderern, die dort in den Türen standen und zwischen Horst und seinen Männern, die mit gespannten Bögen und eingelegten Pfeilen dastanden, hin und her schauten.
Flax starrte sie wutentbrannt an. Seine Wangen waren vor Zorn gerötet, und Oak, der Steinmetz, stand mit hochgezogenen Schultern neben ihm. Die rothaarige Stadträtin weinte leise vor sich hin; Reed hatte das Gesicht abgewandt und bedeckte es mit seiner Hand. Vi starrte ihn einfach nur an.
»Macht ihn nicht dafür verantwortlich«, sagte Wil und deutete auf Leof. »Er hat versucht, es zu verhindern.«
Leof fragte sich, warum er dies sagte. Es war ein Zeichen der Erkenntlichkeit, das besagte, dass das, was mit dem Mädchen geschehen war, falsch war, doch es war wertlos, da Wil selbst nichts unternommen hatte.
»Was wird mit dir geschehen?«, fragte ihn Vi.
Leof zuckte mit den Achseln. »Der Galgen oder die Steinpresse.« Für ihn spielte das kaum eine Rolle. Er hatte sein Leben unter Thegans Befehl gelebt, die Domäne vor Angriffen beschützt, und nun hatte es den Anschein, als habe er damit einzig und allein mitgeholfen, das Böse zu festigen.
»Hoffentlich lebst du so lange überhaupt noch«, erwiderte Vi. »Dieser Zauberer wird keine Geiseln respektieren. Bis Sonnenuntergang werden wir alle tot sein.«
Wahrscheinlich hatte sie Recht.
Sie legten ihm die Hände in Ketten und schlangen diese dann durch den hohen Haken über dem Schandpfahl, wobei sie ihm die Arme schmerzhaft nach oben zerrten. In der Ferne hörte er die unverkennbaren Geräusche, die den Beginn einer Schlacht kennzeichneten.
Sorn starrte ihn an. Ihre Miene war ausdruckslos, doch sie
ballte die Hände an ihren Seiten zu Fäusten. Bewusst wandte er seinen Blick von ihr ab, richtete ihn auf die Wanderer in der Scheune, um ihn dann wieder ihr zuzuwenden. Er hatte versucht, das Mädchen zu retten, und hatte versagt. Doch da waren immer noch einhundertfünfunddreißig weitere Seelen, die gerettet werden mussten.
Sorn nickte. Die
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