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Die Hoehle der Traenen

Die Hoehle der Traenen

Titel: Die Hoehle der Traenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pamela Freeman
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teilnahmslose Miene bei, wie es sich für einen Offizier geziemte.
    »Mein Lord!«, rief Leof, als Thegan neben ihm erschien. Wil, Gard und eine Reihe der Sergeants folgten ihm, darunter auch Hodge und Alston. Sie drängten sich auf die Beobachtungsplattform oberhalb des Tores und starrten auf die Straße herunter.
    Als Thegan die Geister sah, presste er die Lippen zusammen. »Holt sie«, befahl er Hodge.
    Hodge bewegte sich auf die Scheune zu. Leof wollte gar nicht wissen, wen Thegan mit »sie« meinte, konnte es sich jedoch vorstellen. Wäre er selbst ein Kriegsherr gewesen, der einem Eindringling eine Geisel zeigte, hätte er das hübscheste Mädchen ausgesucht, das er finden konnte. Vernünftig war das nicht, denn das Leben eines alten Mannes war genauso viel wert wie das eines jungen Mädchens. Doch hier hatten sie es nicht mit Vernunft zu tun.
    Leof zwang sich dazu, zuzuschauen. Hodge verschwand in der Scheune und zerrte dann eine Frau heraus, wie Leof sie sich vorgestellt hatte, nämlich jung, hübsch und verängstigt. Flax versuchte, sich Horst in den Weg zu stellen, doch Horst und zwei weitere Männer drängten ihn zurück in die Scheune.
    Vis Miene war unergründlich. Doch so, wie sie die Schultern hochgezogen hatte, erkannte er, was in ihr vorging. Sie fauchte Hodge an, und der lief knallrot an, hielt das Mädchen jedoch fest am Arm gepackt.
    Leof schwitzte. Es war der kalte Schweiß der Angst, das konnte er riechen. Er durfte nicht zulassen, dass Thegan dieses Mädchen einfach ermordete, um ein Druckmittel zu haben. Oder doch?
    Nie in seinem Leben hatte er inniger gebetet wie nun, der
Zauberer möge die Leben der Geiseln respektieren und sich zurückziehen. Das war ihre einzige Hoffnung.
    Hodge zerrte das Mädchen zu Thegan. Achtzehn war sie vielleicht, und sie sah verängstigt aus und schluchzte. Auch wenn sie nicht wusste, was geschehen würde, war es für jedes Mädchen eine Furcht einflößende Situation, von dem Gefolgsmann eines Kriegsherrn zu einer Gruppe von Soldaten gezerrt zu werden. Sie versuchte nicht einmal, tapfer zu sein.
    In den Mienen der Soldaten erkannte Leof jene Mischung aus Mitgefühl und Verärgerung, die ein schwaches Opfer so häufig bei den Starken hervorruft. Thegans Gesicht dagegen war vollkommen ausdruckslos, während er darauf wartete, dass der Zauberer in Hörweite kam. Er würdigte das Mädchen nicht einmal eines Blickes. Die aufgehende Sonne ließ sein Haar schimmern und schuf einen Strahlenkranz um seinen Kopf, sodass er aussah wie eine von den Göttern gesandte Vision.
    »Zauberer! Hörst du mich?«, rief Thegan.
    Hinter ihm, auf dem Hof, auf den Mauern, in der Scheune, herrschte vollkommene Stille.
    »Ich höre«, rief der Zauberer zurück.
    »Hinter diesen Mauern habe ich einhundertundsechsunddreißig Wanderer«, sagte der Kriegsherr. »Verlasst Sendat sofort, und sie überleben. Greift an, und sie sterben.«
    Die Wanderer in der Scheune fingen zu rufen und zu protestieren an, wobei Flax am lautesten war.
    Lass ihn ein Einsehen haben, betete Leof. Götter des Feldes und des Wasserlaufs, Götter des Himmels und des Windes, Götter der Erde und des Felsen, lasst den Zauberer ein Einsehen haben.
    Thegan machte Hodge gegenüber eine Geste, woraufhin der Sergeant das Mädchen nach vorne brachte.

    Ja, dachte Leof. Zeige ihm das Mädchen. Lass den Zauberer ihr Gesicht sehen. Bewege sein Herz.
    Dann holte Thegan sein Messer hervor und legte es dem Mädchen an die Kehle.
    Für Leof wurde die Welt ganz still. Die dort versammelten Männer bewegten sich, doch niemand unternahm etwas. Keiner protestierte. War es die Angst vor den Geistern oder die Loyalität, die sie schweigen ließ? Oder war es ihnen schlichtweg gleichgültig, weil das Mädchen keine der ihren war?
    Der Augenblick, der Herzschlag, schien sich ewig hinzuziehen, als befände Leof sich auf dem Kamm einer Welle, die nie brechen würde. Loyalität war ein Dogma der Offiziere, lebensnotwendig für das System der Kriegsherren, war das Herz ihres Glaubens, der Kern ihres Lebens. Loyalität und Gehorsam. Er verdankte Thegan sein Leben. Thegan hatte ihn in Bonhill gerettet und dabei sein eigenes Leben riskiert. Er hatte ihn in so vielen Schlachten befehligt, und Leof war ihm blind gefolgt, überzeugt davon, dass alles, was sein Lord sagte, richtig sein würde, und es hatte sich auch immer wieder als richtig erwiesen. Was, wenn er jetzt ebenfalls Recht hatte? Aus den Augenwinkeln heraus erspähte er Sorn, die auf das Tor

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