Die Hoehle der Traenen
war. »Sorn …«
»Ich bin bereit, Euren Lehnseid anzunehmen, Lord Leof.«
Obwohl ihr das Haar offen über die Schultern fiel und ihre Lippen von Leofs Küssen noch gerötet waren, wirkte sie plötzlich älter und weit stärker.
»Ihr werdet Euren Fall den anderen Kriegsherren vortragen
müssen, bevor Thegan zu ihnen stößt«, warnte er sie. Dann hob er sein Schwert auf und zog es. Er präsentierte es ihr mit dem Heft zu ihr gerichtet, wie es die uralte Zeremonie verlangte. Doch sie schüttelte den Kopf.
»Ich bin keine Befehlshaberin«, sagte sie. »Ich bewerte den Eid höher als das Schwert.«
»Ihr seid meine Lady«, sagte er, »und ich gelobe Euch Treue bis zum Tod.« Es waren nicht die gleichen Worte, die er gegenüber Thegan benutzt hatte. Gegenüber Thegan hatte er sein Schwert und seine Ehre gelobt. Thegan hatte sein Schwert benutzt und auf seiner Ehre herumgetrampelt. Daher konnte er Sorn, deren Ehre die seine bei Weitem überragte, nur Loyalität anbieten. Aber es schien das zu sein, was sie wollte.
Sie legte ihre Hände förmlich in die seinen. »Ich bin Eure Lady«, sagte sie. »Als Ausgleich für Eure Loyalität werde ich bis zum Tod für Euch sorgen.«
Das war das Gelöbnis, das Kriegsherren gegenüber Offizieren ablegten, die nicht direkt ihrem Befehl unterstanden – jene Offiziere mithin, die ihre Ländereien bebauten und ihnen Tribut zahlten. Sie waren sich beide der doppelten Bedeutung der Worte bewusst; sie klangen wie ein Eheversprechen. Er lächelte sie an, und sie wandte sich ein wenig ab, bemüht, sein Lächeln nicht zu erwidern. Dann stieß sie ihm sanft gegen den Arm, als wolle sie ihn wegen Leichtsinns tadeln.
Geschickt flocht sie sich das Haar und steckte es hoch, bis sie wieder ganz die Haltung der Tochter eines Kriegsherrn innehatte.
»Nun seid Ihr also mein, und ich kann mit Euch tun, wie mir beliebt«, neckte sie ihn, während sie aus dem Raum gingen.
Diese Vorstellung ließ ihm den Atem stocken. Doch es
gelang ihm, seine Aufmerksamkeit auf die Notwendigkeiten des Moments zu richten. »Wir müssen Bramble finden. Und wo ist die Steinedeuterin?«
Während sie sich oben in der Kammer aufgehalten hatten, war die Sonne allmählich untergegangen. Der Gastwirt hatte unten die Laternen entzündet.
»Ich habe meiner Lady Bericht erstattet«, sagte Leof. »Welches Zimmer hast du für mich vorgesehen?«
Der Gastwirt schaute ihn verschlagen an. »Ich war mir nicht sicher, ob Ihr ein eigenes Zimmer benötigt.«
Mit zwei Schritten durchquerte Leof den Raum und rammte den Mann gegen den Tresen. »Du hast doch sicher nicht vorgehabt, meine Lady zu beleidigen.«
Der Gastwirt duckte sich zwar nicht, doch sein wissender Ausdruck verschwand. »Nein«, sagte er. »Nichts für ungut. Ich werde Euch in dem Zimmer am Ende des Flurs unterbringen.«
Leof nickte und ließ ihn los. In diesem Moment kam eine Frau die Treppe herunter. Sie war stämmig, hatte rötlich gelbes Haar und war etwa vierzig Jahre alt.
»Safred!«, sagte Sorn dankbar und ging auf sie zu, um sie zu begrüßen. »Leof, dies ist die Quelle der Geheimnisse.«
Es war seltsam, einer Legende in Fleisch und Blut gegenüberzustehen. Leof verneigte sich tief und richtete sich dann wieder auf. Dabei kam er sich sonderbar ungeschützt vor. Es hieß, die Quelle der Geheimnisse wisse um die Vergangenheit und die Zukunft und auch von allem, was dazwischen lag. Die Art, wie sie ihren Blick rasch auf ihn und dann auf Sorn richtete und daraufhin die Stirn kräuselte, ließ es ihn glauben.
Sie trat näher an ihn heran, als die Höflichkeit es geboten hätte. Er war unsicher, ob er zurückweichen sollte. Dann streckte sie die Hand aus und berührte den Kreis aus gewebtem
Schilf, der um seinen Hals hing. »Seid Ihr ein Mann mit Macht, Lord Leof?«, fragte sie.
Er schüttelte den Kopf. »Ich habe ihn geschenkt bekommen. Es hat sich als großer Segen erwiesen und mir das Leben gerettet.«
»Ihr seid gesegnet«, sagte Safred. »Behaltet ihn immer bei Euch. Wenn wir dies hier überleben, werdet Ihr einen Sohn haben. Gebt ihm den Schilfkreis, wenn er auf die Welt gekommen ist.«
Ein Schauer durchfuhr ihn. Vorhersehung. Wahre Vorhersehung. Es war anders als beim Steinedeuten, wo es so schien, als hätten die Steine die Macht. Die Quelle der Geheimnisse war fest mit den Göttern verbunden … Ein Sohn. Wenn wir dies hier überleben , hatte sie gesagt.
»Werden wir den Zauberer besiegen?«, wollte er wissen.
Sie seufzte. »Ihr wollt eine
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