Die Hoehle der Traenen
getötet hatte, mit dem ich früher Seite an Seite gekämpft hatte.«
»Also hast du Acton gerächt, ohne es zu wissen«, sagte Bramble.
Baluch lachte bitter.
»Glaubst du, sie wusste, dass er Acton getötet hatte?«, fragte sie.
»Der See? Das bezweifele ich.«
Nun endlich schaute Bramble Acton an. Sie musste einfach sehen, wie er reagierte, auch wenn es ihr wie eine Schwäche vorkam.
Inzwischen war die Sonne untergegangen. Doch Acton war immer noch da und starrte sie beide besorgt und verständnislos an. Erleichterung stieg in ihr auf.
»Er verblasst nicht …«, sagte Bramble und wusste dabei nicht, ob sie sich darüber freuen sollte oder nicht. Ash sah
auf, wobei sein Gesicht nichts weiter verriet, doch Bramble war davon überzeugt, dass er aufgewühlt war. Bei den Göttern, auch sie war aufgeregt. Die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft vermischten sich zu sehr, als dass sie hätte Seelenfrieden erlangen können.
»Wenn es der gleiche Zauber wäre, hätte er verblassen müssen«, sagte Ash.
»Wer weiß?«, sinnierte Baluch. »Vielleicht unterscheidet er sich ja in einer Nuance.«
»Was soll’s?«, sagte Bramble, und Acton lächelte sie wegen ihres Tonfalles an, obwohl er ihre Worte nicht verstanden hatte.
»Wir können hier übernachten«, sagte Ash in der alten Sprache.
»Ich werde euch bewachen«, sagte Acton sofort.
Ash wirkte verärgert über die Selbstverständlichkeit, mit der Acton das Kommando übernahm. Wenn man sein Leben lang anderen Befehle erteilte, überdauerte diese Angewohnheit sogar das Grab, dachte Bramble. Aber es war nur vernünftig, ihm die Wache zu überlassen. Er brauchte keinen Schlaf.
Während er sich neben Bramble legte, mied Ash Baluchs Blick. »Auch wenn sie Actons Leute getötet haben, ist das dann eine Entschuldigung dafür, dass er Tausende Unschuldige ermordet hat?«, fragte er sie murmelnd.
Sie zögerte, als wolle sie gar keine Antwort darauf geben. »Nein«, sagte sie dann. »Es gibt keine Entschuldigung dafür, die Männer von Turvite oder alle Einwohner von River Bluff getötet zu haben. Keine Entschuldigung. Aber Hawksted – was hättest du getan, wenn deine Eltern und all deine Freunde von einem Fremden verraten und massakriert worden wären?« Ash gab keine Antwort, sondern blieb mit hochgezogenen Schultern sitzen. »Bete darum, dass du
es nie herausfinden musst.« Sie wandte ihm den Rücken zu und richtete sich für die Nacht ein, wobei sie den Kopf auf der Tasche ruhen ließ, in der Actons Knochen untergebracht waren. Sie hatte Actons ganzes Leben mitleben müssen, um ihn auch nur ein wenig zu begreifen. Der arme Ash – all seine Gewissheiten wurden an einem einzigen Tag infrage gestellt.
Statt sich auszuruhen, trat Baluch zu Acton, um sich mit ihm zu besprechen.
»Bring ihm unsere Sprache bei«, rief Bramble ihm zu. »Er wird sie brauchen.« Während sie die beiden beobachtete, stieß sie einen Seufzer aus. Sie mussten eine Menge Informationen austauschen. Eine Menge Erinnerungen. Ein tiefer Groll stieg in ihr hoch. Sie wusste so viel, teilte so viele dieser Erinnerungen, hatte aber kein Recht darauf … und keine Chance, neue mit ihm zu machen, nicht in diesem Leben.
Der Schreck, eine tote Stimme zu hören, ließ sie schlagartig hellwach werden. »Nun denn, Bramble, die Hübsche, die Entschlossene«, sagte Acton. »Wer also bist du? Und wieso weißt du so viel über mich und die Meinen?« Er saß neben ihr, während Baluch und Ash schliefen.
Er versuchte nicht, sie dazu zu verführen, ihm zu folgen. Er wollte es einfach nur wissen. Also erzählte sie ihm von dem Obsidian Lake, und er hörte ihr zu, und obwohl sich seine Stirn das eine oder andere Mal in Falten legte, unterbrach er sie nicht.
»Und wie viel hast du gesehen?«, fragte er vorsichtig.
»Wili, zum Beispiel?«, zog sie ihn auf. Er zuckte zusammen, doch in seinen Mundwinkeln zeigte sich ein Lächeln, so als lache er über sich selbst. Unwillkürlich musste auch sie lächeln. Zum ersten Mal dachte sie an seine Reaktion, beging sie Verrat an ihrer Liebe zu ihm. Nicht nur dass sie
damit seine Würde aufs Spiel gesetzt hätte, es wäre auch nicht fair ihm gegenüber gewesen, ihn auch nur einen Moment lang mit einer Liebe zu belasten, die erst ganz am Ende seines Lebens aufgeblüht war und die er womöglich nicht erwidern konnte. »Ich habe nicht so viel gesehen, dass du erröten müsstest«, sagte sie. »Und ich auch nicht.« Womit sie die Wahrheit großzügig auslegte.
Seine
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