Die Hoehle der Traenen
das hier der einzig sichere Ort in der Domäne für sie sein. Und das werdet Ihr ihnen bieten, Leof – Sicherheit. Sicherheit vor ihren Nachbarn hinter den starken Mauern der Festung des Kriegsherrn. Ich werde nicht zulassen, dass dieser Zauberer das Leben in den Domänen
zerstört. Ich werde ihn auf die eine oder andere Weise zerquetschen, das schwöre ich.«
Als Leof ging, fragte er sich, wie es dazu gekommen war, dass er die Anweisungen seines Herrn in Zweifel zog. Aber Thegan hatte Recht. Zweifellos würden sich die Neuigkeiten über Wanderer und Geister verbreiten, angeheizt durch Thegans Befragungen, wenn auch nichts anderes. Ein Schauer lief ihm über den Rücken. Kein Wanderer würde sicher sein. Indem er ihnen Zuflucht anbot, erwies er ihnen einen Gefallen. Und wenn die Geister wirklich das Leben von ihresgleichen respektierten, dann würden die Wanderer und Sendat überleben. Es war die einzige Möglichkeit. Die einzige Wahl, die ihnen blieb.
Doch als er den Plan Alston erläuterte und in seinen Augen die bereitwillige Zustimmung sah, war er beunruhigt. Was, wenn die Geister das Leben der Wanderer nicht respektierten? Würden dann alle abgeschlachtet werden, ihre eigenen Leute wie auch die Wanderer? Wenn die Geister ihre Verteidigungsanlagen überrannten – nun, dann würde er sterben. Nur wenn man Glück hatte, war der Weg lang. Der Gedanke ließ ihn seltsam vergnügt werden, und Leof pfiff vor sich hin, während er zu den Ställen ging, um Thistle zu suchen.
Bramble
Sie folgten Baluch durch die Dunkelheit. Einzig Medrics kleine Kerze erhellte ihnen den Weg. Da sie nicht wussten, wie lange es dauern würde, bis sie die Oberfläche erreicht hatten, ließen sie nur eine Kerze brennen.
Ash signalisierte Bramble, etwas zurückzubleiben, damit sie nebeneinander gehen konnten. »Du musst die Knochen immer bei dir behalten«, sagte er. »Einen anderen Sänger können wir auftreiben, wenn wir müssen, aber du bist der Schlüssel.«
Die Geister, die Ash und Martine in Spritford gesehen hatten, waren bei Sonnenuntergang verblasst. Falls auch Acton verblasste … Sie unterdrückte den Kummer, den dieser Gedanke in ihr auslöste. Sie würden ihn eben noch einmal erwecken müssen, das war alles.
»Ich bin froh, dass ich ihn nicht ohne die Hilfe anderer erwecken kann«, sagte sie. In der Lage zu sein, ihn zu sich zu rufen, wäre sowohl eine Verlockung als auch eine Qual gewesen.
»So wie du ihm gegenüber empfindest, hätte ich gedacht, dass du gern dazu in der Lage sein würdest.« Seine Stimme klang vorwurfsvoll.
Sie errötete. »Er ist nicht so schlecht, wie die Geschichte ihn beschreibt.«
»Er ist der Feind unseres Volkes.«
»Ich stamme von beiden Völkern ab, du erinnerst dich?«, erwiderte sie. »Ich habe die Erkenntnis gewonnen, dass ich außer den Kriegsherren keine Feinde habe. Und ganz gleich was die Erzählungen besagen, er hat das System der Kriegsherren nicht eingesetzt.«
Dies ließ ihn innehalten. »Also ist er gar kein Mörder?«
Sie geriet ein wenig ins Straucheln. »Doch«, sagte sie. »Er ist ein Mörder.« Die Worte verursachten ihr einen Schmerz in der Brust. »Aber wir sind es auch.«
Bei dieser Bemerkung fuhr er zusammen, und eine Weile sagte er nichts mehr. Seine Hand glitt zu seinem Gürtel, wie um sich zu vergewissern, und Bramble bemerkte, dass dort ein Beutel hing, so wie ihn Steinedeuter benutzten.
»Bist du jetzt auch ein Deuter?«, fragte sie ihn.
Ash nickte. »Ich kann deuten.« Doch in seiner Stimme schwang Zweifel mit.
Sie beließ es dabei, und sie gingen einträchtig nebeneinander her, bis sie in einen trockenen Bereich der Höhlen kamen, ein runder Hohlraum in der Mitte eines langen Gangs im Fels. Die Luft war frisch, und sie wussten, dass sie sich in der Nähe der Oberfläche befanden, weil durch eine schmale Spalte ein winziger Streifen Licht fiel. Dieser leuchtete in der Dunkelheit und hinterließ Nachbilder auf ihren Augen.
Medric blies die Kerze aus. Ihre Augen hatten sich so an die Dunkelheit gewöhnt, dass die Höhle nun wirkte, als wäre sie in Tageslicht getaucht.
»Lasst uns eine Pause einlegen«, schlug Ash vor.
Bramble trat zu der Felsspalte und sah hinauf; der schmale Kamin zog sich scheinbar endlos in die Höhe. Hier drinnen hatte sie kein rechtes Zeitgefühl, doch ihr war so, als spüre sie den Sonnenuntergang. Würde Acton bei Sonnenuntergang verblassen? Der Gedanke ließ sie frösteln. Sie würde ihn nicht anschauen. Es war besser, sich
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