Die Hoehle der Traenen
Vielleicht sogar Freunde fand. Womöglich sogar heiratete. Bei dieser Vorstellung geriet seine Vision ins Wanken. Seine Zeit mit Freite hatte ihn misstrauisch gegenüber Frauen gemacht.
Auch gut.
Die Wachen verweigerten ihm jedoch, eine Axt in den Buschwald mitzunehmen. »Nur Sägen sind erlaubt«, sagten sie und zwangen ihn, das kleine Handbeil, das Lefric ihm gegeben hatte, wieder zurück in den Hof zu bringen und dort wegzuschließen.
»Ja, ja«, murrte Lefric. »Das hatte ich vergessen. So sind die neuen Regeln.«
Wenn die Äxte, die sie benötigten, in Kisten und Kellern weggeschlossen waren, war es für die Geister unmöglich, Tür für Tür einzuschlagen. Letzten Endes würden sie sie zwar dennoch erwischen, aber der Aufwand … Mehr und mehr betrachtete er die Festung als den Ort, wo sie an die notwendigen Waffen herankommen würden.
Es war nicht schwer, den Baum zu finden, den Lefric haben wollte. Der Buschwald war klein und am Tag für seine Bedürfnisse nutzlos, da er von anderen Handwerkern besucht wurde, die Lefrics Rechte hier teilten: Korbmacher, Flechter, Schnitzer. Doch nachts … Während er an der Esche sägte, sah er sich forschend um.
Vielleicht nicht direkt hier, sondern hinter dem Buschwald, denn dort sah es viel versprechend aus. Er legte die Säge ab und wischte sich die Stirn ab, so als wäre er müde. Dann ging er zu dem Wasserlauf jenseits der Bäume, in das kleine Tal hinein. Am Ufer schöpfte er sich Wasser in die Hand und trank es, genoss es aus ganzem Herzen. Vorsichtig berührte er mit den Fingern die Stelle an seiner Hand, wo sich bereits eine Blase bildete. Nein, für diese Art Arbeit war er wirklich nicht geschaffen.
Auch die Stelle am Fluss war für seine Bedürfnisse ungeeignet, jedenfalls dort, wo er sich jetzt befand. Doch ein wenig weiter hinten breitete sich unter einem großen Baum – einer Zeder? – ein Teich aus. Die Äste des Baumes hingen tief herab, fegten hier und da fast den Boden. Unter diesem Schutz würde er ungestört sein – falls es ihm gelänge, hierherzukommen, falls die Wachen nicht allzu wachsam waren und falls Lefric fest genug schlief.
Was sein Vater dazu sagen würde, wusste er. »Töte den alten Mann, er gehört nicht zu unserer Sippe.« Aber es widerstrebte ihm, Lefrics freundliche Art mit Mord heimzuzahlen. »Schwächling!«, hörte er erneut die Stimme seines
Vaters und spürte, wie ihm der Schweiß auf der Stirn ausbrach. Falls er es nicht schaffte, würde er eben so lange bei Lefric bleiben müssen, bis es ihm gelang. Er musste ihn am Leben halten.
Dieser Grund war gut genug, um die vorwurfsvolle Stimme zum Schweigen zu bringen.
Heute Abend, dachte Saker. Heute Abend werde ich sie erwecken, und dann spielt es morgen keine Rolle mehr, was Lefric zustößt.
Bei diesem Gedanken überkam ihn eine Mischung aus Erregung und Schrecken.
Ash
Ihre aus jungen Männern bestehende Nachhut wurde immer zahlreicher, je häufiger sie an Bauernhöfen vorbeikamen. Allmählich glich ihre Wanderung einem Umzug, wie zu Erntezeiten in den Städten des Nordens, dachte Ash verdrießlich. Und sie waren alle noch so jung . Unvoreingenommen betrachtet wusste er, dass einige dieser jungen Gaffer in seinem Alter waren, doch irgendwie wirkten sie mehr wie Kinder. So wie sie herumtollten und Witze machten, verhielten sie sich zweifellos auch wie solche. Offenkundig hatten sie keinerlei Gespür für die immense Größe des Problems.
Acton lachte sie natürlich bloß aus.
»Wir brauchen Pferde«, sagte Bramble, als sie sich dem nächsten Dorf näherten.
Bei dem Gedanken an Reiten stöhnte Ash stumm auf, wusste aber, dass sie Recht hatte. In diesem Tempo würden sie Wochen benötigen, bis sie Wooding erreichten.
»Wird eines von ihnen mich tragen? Was meinst du, Liebste?«, wollte Acton wissen.
Sie schüttelte den Kopf. »Keine Chance. Aber du bist ja tot – da solltest du eigentlich unbegrenzt schnell laufen können.«
Sie hatte Mut fassen müssen, um das laut auszusprechen, dachte Ash und erinnerte sich an das brennende Verlangen,
das Bramble ausgestrahlt hatte, als sie beide Acton erweckt hatten.
Acton grinste sie an. »Auf meinen eigenen Beinen war ich noch nie besonders schnell. Solange ich die Pferde nicht scheu mache, könnte es ja ganz lustig sein.«
In dem Dorf hielten Acton und Baluch erneut ihren Vortrag. Ash musste das Verlangen unterdrücken, dabei als Hintergrundgeräusch seine Trommel regelmäßig zu schlagen, denn es war wie ein Schauspiel.
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