Die Hoehle der Traenen
Füße gar nicht wirklich den Boden berührten.
Ash und Baluch spornten ihre Pferde dazu an, das Tempo
mitzugehen, doch ihr langsamer Start bedeutete, dass Bramble und Acton ein ganzes Stück vor ihnen blieben. Medric ritt hinter ihnen her, doch das Zugpferd war schneller, als es aussah.
»Sie liebt ihn«, sagte Baluch, während er kurz zu Ash hinüber sah.
»Er ist tot«, erwiderte Ash.
»Ja, aber …« Baluch sah zu, wie die beiden über eine niedrige Mauer sprangen, wobei sich Brambles Haar aus seinem Knoten löste und nun frei im Wind flatterte. »Vielleicht hat er in ihr seinesgleichen gefunden.«
»Und was hat sie in ihm gefunden?«, fragte Ash. Sofort wünschte er sich, er hätte es nicht getan. Denn ganz gleich wie die Antwort lautete, sie konnte für Bramble nicht gut ausfallen.
Martine
Als sie das Kap zwischen Mitchen und Carlion umschifften, wirkte die Kapitänin besorgt.
»Schlimmes Gewässer hier in der Gegend«, maulte eine von Zels Tanten. Martine konnte sie nie auseinanderhalten, da sie sich derart ähnelten; beide waren sonnengebräunt, drahtig, ergraut. »Hier passieren Dinge«, erklärte sie grimmig.
Zel warf ihr einen zynischen Blick zu, während sie Trines Heunetz füllte. Trine stieß sie mit dem Kopf gegen die Schulter, aber nicht unfreundlich. In den letzten Tagen hatten sie mehr Verständnis füreinander entwickelt. »Seemannsgarn, Rawnie«, erklärte Zel.
Rawnie zuckte mit den Achseln. »Glaub, was du willst. Rumer und ich werden jedenfalls unsere Gebete sprechen, bis wir Carlion hinter uns gelassen haben.«
»Und die Augen nach Seeschlangen aufhalten?«, fragte Martine. Sie saß an der Seite von Trines Pferch. Sie hätte ihre Beine wie ein Kind schwingen wollen, so glücklich war sie, wenn sie nur an Arvid dachte. Er war gerade in der Nähe mit seinen Geschäftsbüchern beschäftigt und berechnete, wie viel jedem Bauern und jedem Handwerker aus der Last Domain aus dem Verkauf der Ladung in Mitchen zustand. Er schaute kurz auf und schenkte ihr einen Blick, der die Erinnerung an die vergangene Nacht in ihr wachrief; während
er sie liebte, hatte er ihr in die Augen gesehen und ihren Namen geflüstert.
In den vergangenen Tagen war ihre Stimmung von einer großen, geradezu trunkenen Glückseligkeit immer wieder umgeschlagen in Pessimismus und Schwermut. Das Wetter passte dazu; die Wolken huschten über die Sonne und ließen sie in einem Moment grell scheinen und warfen im nächsten Schatten.
Sie wandte sich wieder Rawnie und Zel zu, die sie wissend anschauten. Sie errötete.
»Nun, Seeschlangen?«, brachte sie verlegen hervor.
»Nein«, sagte Rawnie ernst. »Die schwimmen weiter südlich, an den Wind Cities vorbei. Es ist noch etwas Seltsameres.«
Die Kapitänin pfiff. Rawnie sprang aus dem Laderaum und rannte zum Mast. So, wie sie sich vom Seil bis zum Kreuzmast und auf den Belegnagel zubewegte, hatte es geradezu den Anschein, als hüpfe sie hinauf.
Zel schaute ihr nachdenklich zu. »Akrobat zu sein, ist auf einem Schiff nützlich«, sagte sie, als habe sie nie begriffen, dass ihre körperlichen Fähigkeiten auch noch andere Anwendungen finden könnten, als Vorstellungen zu geben.
»Deine Tanten machen einen glücklichen Eindruck«, sagte Martine.
Zel schaufelte Trines Mist in einen Eimer und spülte das Deck ab, bevor sie eine neue Lage Stroh auslegte.
Martine genoss die Sonne auf ihrem Rücken, während sie zusah, wie Zel ihre Aufgaben verrichtete. Langsam, aber sicher wurde ihr bewusst, dass hier etwas nicht stimmte. Die Sonne stand in ihrem Rücken, gut und schön, wurde aber gar nicht mehr wärmer. An der Brise lag das nicht – sie befand sich hier in einer windgeschützten Ecke. Obwohl es bald Mittag wurde, wurden die Sonnenstrahlen immer schwächer.
»Da stimmt etwas nicht«, sagte sie. »Ruf Safred.«
Das brauchten sie gar nicht, denn in diesem Moment trat Safred auf das Deck, von Cael gefolgt. Die Kapitänin stand an der Ruderpinne und besprach sich mit dem Steuermann, und beide wirkten unglücklich. Während Martine und die anderen sich ihnen näherten, kam auch Arvid von achtern, um sich zu ihnen zu gesellen.
»Was geht hier vor?«, wollte er wissen.
Die Kapitänin wies über den Steuerbordbug hinweg. Zwischen ihnen und der Küste waberte eine lang gezogene, niedrige Nebelbank, die stumm über das Wasser auf sie zugerollt kam. Sie war aus purem, kaltem Weiß und hätte die Sonne glänzend widerspiegeln müssen, schien stattdessen jedoch das Licht
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