Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes (German Edition)
finde noch nicht einmal vernünftige Infos dazu, solange ich nicht weiß, wie man das nennt.«
»Tut mir leid, ich weiß es auch nicht. Warum rufst du nicht deinen Vater an?«
Nach deinem Gesichtsausdruck zu urteilen wird das mehr Aufwand sein, als es dir wert ist. Zu der Zeit werden dein Vater und du nicht allzu gut miteinander auskommen. »Kannst du ihn anrufen und fragen? Aber erzähl ihm nicht, dass ich es wissen will.«
»Ich glaube doch, dass du ihn selber anrufen solltest.«
Das wird dich wütend machen: »Himmel, Mom, niemand hilft mir mehr bei den Hausaufgaben, seit du und Papa euch getrennt habt.«
Es ist erstaunlich, wie unterschiedlich die Anlässe sein können, bei denen du dieses Thema anschneidest. »Ich hab dir bei den Hausaufgaben geholfen.«
»Ja, vor etwa einer Million Jahren, Mom.«
Das überhöre ich geflissentlich. »Ich würde dir ja jetzt gerne helfen, wenn ich könnte, aber mir fällt der Begriff auch nicht mehr ein.«
Wutschnaubend wirst du zurück in dein Zimmer gehen.
Alleine und zusammen mit anderen Linguisten übte ich, so oft ich konnte, Heptapod B. Eine semasiografische Sprache zu lesen, war so neu, dass es mich mehr fesselte als Heptapod A. Zudem fand ich meine Fortschritte beim Schreiben aufregend. Mit der Zeit gerieten die Sätze, die ich schrieb, schöner und zusammenhängender. Schließlich war ich so weit, dass ich bessere Ergebnisse erzielte, wenn ich nicht allzu viel nachdachte. Statt einen Satz sorgfältig zu planen, bevor ich ihn schrieb, konnte ich einfach loslegen; die ersten Linien entsprachen fast immer einer eleganten Wiedergabe dessen, was ich ausdrücken wollte. Ich war dabei, ein Sprachvermögen zu entwickeln, das dem der Heptapoden glich.
Noch interessanter war, dass Heptapod B meine Denkweise veränderte. Zu denken bedeutete für mich normalerweise, mit einer inneren Stimme zu sprechen. Meine Gedanken waren phonologisch kodiert, wie es in der Sprache meines Berufes heißt. Meine innere Stimme redete meist Englisch, doch das musste nicht zwangsläufig so sein. Während des Sommers nach meinem letzten Jahr an der Highschool hatte ich an einem Russisch-Intensivkurs teilgenommen. Als der Sommer zu Ende ging, dachte ich nicht nur auf Russisch, sondern träumte auch in dieser Sprache. Es war aber immer gesprochenes Russisch. Andere Sprache, gleicher Modus: eine Stimme, die im Stillen redete.
Schon immer hat mich die Vorstellung fasziniert, in einem sprachlichen, aber nicht phonetischen Modus zu denken. Ein Freund von mir hatte taube Eltern und war mit der amerikanischen Zeichensprache aufgewachsen. Er erzählte mir, dass er oftmals in Zeichensprache und nicht auf Englisch dachte. Ich habe mich gefragt, wie es wohl wäre, wenn die eigenen Gedanken manuell kodiert wären – wenn man sich beim Denken ein Paar gestikulierender Hände vorstellen würde statt einer inneren Stimme.
Mit Heptapod B erlebte ich etwas, das genauso fremdartig war: Meine Gedanken wurden grafisch kodiert. In tranceartigen Zuständen formten sich meine Gedanken nicht mittels einer inneren Stimme, sondern ich sah vor meinem geistigen Auge Semagramme, die sich ausbreiteten wie Eisblumen auf einer Fensterscheibe.
Mit zunehmender Sicherheit erschienen voll ausgestaltete semagrafische Entwürfe vor meinem geistigen Auge, mit denen ich sogar komplexe Vorstellungen ausdrücken konnte. Das bedeutete allerdings nicht, dass sich mein Denken beschleunigte. Statt sich vorwärts zu bewegen, schwebte mein Geist im Gleichgewicht über der den Semagrammen zugrundeliegenden Symmetrie. Die Semagramme schienen mehr als nur eine Sprache zu sein – fast wirkten sie wie Mandalas. Ich merkte, wie ich in einen meditativen Zustand verfiel, in dem ich über die Art und Weise nachgrübelte, wie sich Prämissen und Schlussfolgerungen austauschen ließen. Es gab keine festgelegte Richtung, wie Aussagen miteinander verknüpft wurden, keinen »Gedankengang«, der einem bestimmten Pfad gefolgt wäre; die einzelnen Bestandteile einer Überlegung waren von gleicher Wichtigkeit, sie hatten alle die gleiche Priorität.
Ein Vertreter des Außenministeriums namens Hossner hatte die Aufgabe, die US-Wissenschaftler darüber zu informieren, wie wir mit den Heptapoden umzugehen hatten. Wir saßen im Videokonferenzraum und hörten seinem Vortrag zu. Unsere Mikrofone waren ausgeschaltet, und so konnten Gary und ich uns austauschen, ohne Hossner zu unterbrechen. Gary rollte beim Zuhören derart oft die Augen, dass ich mir
Weitere Kostenlose Bücher