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Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes (German Edition)

Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes (German Edition)

Titel: Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ted Chiang
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Worte anders anordnete, es sei denn, wir baten ihn ausdrücklich darum, das nicht zu tun. War die Reihenfolge beim Schreiben von Heptapod B ebenso unwichtig?
    Bisher hatten wir uns nur darauf konzentriert, wie ein Satz in Heptapod B aussah, wenn er fertig war. Soweit wir feststellen konnten, gab es beim Lesen der Semagramme in einem Satz keine bevorzugte Richtung. Man konnte beinahe überall in dem Bündel beginnen und den sich verzweigenden Gliedern folgen, bis man das ganze Ding gelesen hatte. Das galt für das Lesen, aber traf das auch auf das Schreiben zu?
    Während meines letzten Treffens mit Haspel und Himbeere hatte ich die beiden gebeten, uns die Semagramme nicht erst zu zeigen, wenn sie fertig waren, sondern uns aufzeichnen zu lassen, wie sie die Semagramme schrieben. Das taten sie. Ich schob die Videokassette in den Rekorder und verglich die Aufzeichnung mit meinen Protokollen der Sitzung.
    Ich nahm mir eine längere Äußerung der Unterhaltung vor. Haspel hatte erklärt, der Heimatplanet der Heptapoden habe zwei Monde, einer davon deutlich größer als der andere, die drei häufigsten Elemente in der Atmosphäre des Planeten seien Stickstoff, Argon und Sauerstoff, und 15/28stel der Planetenoberfläche seien von Wasser bedeckt. Die wörtliche Übersetzung der ersten Worte dieser Äußerung lautete »Ungleichheit-der-Größe Fels-Satellit Fels-Satelliten Verhältnis-zueinander-wie-Erst-zu-Zweit«.
    Dann spulte ich das Video zurück, bis die Zeitsignatur mit der der Transkription übereinstimmte. Ich begann das Band abzuspielen und sah zu, wie sich das Gefüge der Semagramme wie ein Tintennetz aus Spinnenseide ausbreitete. Einige Male spulte ich das Band zurück und ließ es laufen. Schließlich drückte ich auf Pause, genau in dem Moment, als der erste Strich fertig war und bevor der zweite begonnen wurde. Nun war auf dem Bildschirm lediglich eine gewundene Linie zu sehen.
    Als ich diesen ersten Strich mit dem ganzen Satz verglich, wurde mir klar, dass dieser Strich sich über mehrere verschiedene Teile des Satzes erstreckte. Er begann im Semagramm für »Sauerstoff«, und zwar als der Faktor, der es von anderen Elementen unterschied, führte dann abwärts, um ein Morphem des Vergleiches in der Beschreibung der Größe der beiden Monde zu bilden, und endete schließlich als geschwungener Hauptstrich des Semagramms für »Ozean«. Und doch war dieser Strich eine einzige fortlaufende Linie und die erste, die Haspel gezeichnet hatte. Bevor der Heptapod den allerersten Strich ausführte, musste er also wissen, wie der ganze Satz lauten würde.
    Auch die folgenden Striche des Satzes gehörten zu mehreren Satzteilen und waren so mit den anderen Linien verflochten, dass man keinen Strich wegnehmen konnte, ohne den ganzen Satz zu verändern. Die Heptapoden schrieben nicht ein Semagramm nach dem anderen, sondern fügten einen Satz, unabhängig von einzelnen Semagrammen, aus Strichen zusammen. Ein derart ausgefeiltes Ineinandergreifen von Strichen hatte ich schon bei einigen kalligrafischen Kunstwerken gesehen, besonders bei solchen, die sich des arabischen Alphabets bedienten. Doch diese Konstruktionen hatten der sorgfältigen Planung meisterhafter Kalligrafiekünstler bedurft. Niemand konnte ein derart ausgeklügeltes Gefüge schnell genug erstellen, um damit den Verlauf einer Unterhaltung aufzuzeichnen. Zumindest kein Mensch.
     
    Ich habe mal einen Witz von einer Komikerin gehört, der etwa so geht: »Ich bin nicht sicher, ob ich Kinder haben soll. Also habe ich eine Freundin gefragt, die Mutter ist: ›Mal angenommen, ich bekomme Kinder. Was mache ich, falls sie, wenn sie groß sind, mir für alles, was in ihrem Leben schiefgelaufen ist, die Schuld geben?‹ Da lachte die Freundin und sagte: ›Was meinst du damit: falls ?‹«
    Das ist mein Lieblingswitz.
     
    Gary und ich saßen in einem kleinen chinesischen Restaurant, eines der örtlichen Lokale, die wir öfter besuchten, wenn wir dem Lager entfliehen wollten. Wir ließen uns die Vorspeisen schmecken: Jiaozi, wie ich sie am liebsten mochte – stark nach Schweinefleisch und Sesamöl duftend.
    Ich tunkte eine der Teigtaschen in Sojasoße und Essig: »Und, wie kommst du mit deinen Heptapod B-Übungen voran?«, fragte ich.
    Garys Blick wanderte zur Decke des Restaurants. Ich versuchte, ihm in die Augen zu sehen, aber er wich mir weiter aus.
    »Du hast das Handtuch geworfen, hab ich recht?«, sagte ich. »Du versuchst es nicht mal mehr.«
    Er sah mich an wie ein

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