Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes (German Edition)
physikalischen Eigenschaften, welche die Heptapoden intuitiv auffassen, wie zum Beispiel »Wirkung« oder andere durch Integrale dargestellte Zusammenhänge, nur dann eine Bedeutung, wenn man einen Zeitabschnitt ins Auge fasst. Diese Eigenschaften lassen sich von einer teleologischen Betrachtung der Ereignisse ableiten: Wenn man Ereignisse über einen längeren Zeitraum hinweg betrachtet, erkennt man Anforderungen, die erfüllt werden müssen, eine Zielvorgabe geringster oder maximaler Werte. Die Ausgangs- und Endzustände dieser Ereignisse mussten bekannt sein, um dieses Ziel zu erfüllen. Bevor die Ursachen in Kraft treten konnten, musste man die Wirkungen kennen.
Auch das verstand ich allmählich.
Warum?«, wirst du fragen. Du wirst drei Jahre alt sein.
»Weil nun Zeit ist, ins Bett zu gehen«, werde ich noch einmal sagen. Wir haben es bereits geschafft, dich zu baden und dir deinen Schlafanzug anzuziehen, aber weiter sind wir noch nicht gekommen.
»Aber ich bin nicht müde«, wirst du jammern. Du wirst vor dem Bücherregal stehen und eine Videokassette, die du anschauen willst, herausziehen: dein neuestes Ablenkungsmanöver, um deinem Bett fernzubleiben.
»Das spielt keine Rolle: Du musst jetzt trotzdem ins Bett.«
»Aber warum?«
»Weil ich die Mama bin und es so will.«
Das werde ich tatsächlich sagen, nicht wahr? Allmächtiger, jemand möge mich bitte erschießen.
Ich werde dich hochheben, mir unter den Arm klemmen und dich, während du die ganze Zeit kläglich heulst, zu deinem Bett tragen. Meine Gedanken werden sich aber nur um meine eigene Hilflosigkeit drehen. All die Schwüre, die ich in meiner Kindheit abgelegt habe, dass ich als Mutter nur vernünftige Antworten geben werde, dass ich mein eigenes Kind wie eine intelligente, denkende Person behandeln werde, sind zum Teufel: Ich werde mich in meine eigene Mutter verwandeln. Ich kann dagegen ankämpfen, so viel ich will, aber nichts wird meinen Abstieg auf diesem langen, furchtbaren Pfad aufhalten können.
War es möglich, die Zukunft nicht einfach nur zu erraten, sondern mit absoluter Gewissheit und bis ins kleinste Detail zu wissen ,was sich tatsächlich ereignen würde? Gary hat mir einmal gesagt, dass die fundamentalen Gesetze der Physik zeitsymmetrisch sind und es aus ihrer Sicht keinen physikalischen Unterschied zwischen Vergangenheit und Zukunft gibt. So gesehen, könnte man die Frage mit »Ja, in der Theorie« beantworten. Aber pragmatischer gesehen, unter Berücksichtigung des freien Willens, müsste man »Nein« antworten.
Ich malte mir die Erwiderung gerne in Form einer Fabel aus, die von Borges stammen könnte: Man stelle sich eine Person vor, die das Buch der Zeit konsultiert, eine Chronik, in der jedes Ereignis der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verzeichnet ist. Selbst wenn man die Originalausgabe stark verkleinern würde, wäre die Chronik unfassbar groß. Mit einem Vergrößerungsapparat würde die Person die hauchdünnen Seiten durchblättern, bis sie die Geschichte ihres Lebens findet. Sie gelangt zu der Stelle im Text, die beschreibt, wie sie das Buch der Zeit liest, und sie blättert weiter zu der Stelle, an der bis ins Kleinste ausgeführt wird, was diese Person später an diesem Tag macht: mit Hilfe der Informationen des Buches wird diese Person 100 Dollar auf das Rennpferd Devil May Care setzen und das Zwanzigfache gewinnen.
Der Person war zwar genau das durch den Kopf gegangen, aber weil sie gerne das Gegenteil von dem tut, was von ihr erwartet wird, beschließt sie nun, das Pferdewetten überhaupt sein zu lassen.
Das ist die Crux. Das Buch der Zeit kann keine falschen Informationen enthalten. Das Gedankenspiel geht davon aus, dass eine Person Wissen über die tatsächliche Zukunft erhält, nicht über eine mögliche Zukunft. Bei einem griechischen Mythos würden die Umstände dazu führen, dass die Person ihr Schicksal erfüllen muss, egal wie sehr sie dagegen ankämpft. Doch mythische Prophezeiungen sind berüchtigterweise ziemlich vage; das Buch der Zeit aber ist sehr konkret, und es gibt keine Möglichkeit, jemanden dazu zu zwingen, auf die beschriebene Weise auf ein Rennpferd zu wetten. Daraus ergibt sich ein Widerspruch: Laut Definition muss das Buch der Zeit recht haben, doch was auch immer das Buch darüber aussagt, was eine Person tun wird, sie kann sich anders entscheiden. Wie lassen sich diese beiden Aussagen miteinander in Einklang bringen?
Gar nicht, lautet die geläufige Antwort. Ein Werk
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